Es gibt viele Bücher über Kunst: Bildbände, Biografien und historische Romane. Die Palette der Künstler und ihrer Gemälde ist riesig. Dabei sind noch lange nicht alle Künstler erforscht und viele Kunstwerke gingen im Laufe der Zeit verloren oder wurden zerstört. Auch der frühbarocke Maler Michelangelo Merisi – genannt Caravaggio – blieb lange in Vergessenheit und einige seiner Gemälde sind bis heute verschwunden. Doch hin und wieder – so wie der Zufall will – taucht ein verloren geglaubtes Bild auf. Allerdings handelt es sich nicht selten um eine täuschend echte Kopie.
In seinem Buch Der verschollene Caravaggio erzählt der Journalist Jonathan Harr die reale Geschichte über das Finden eines alten Gemäldes, nämlich der „Gefangennahme Christi“, das dem mysteriösen Maler Caravaggio zugeschrieben wird. Zu Recht?
Um dieses Werk aus 16. Jahrhundert spinnt sich die scheinbar unzusammenhängende Erzählung verschiedener Personen – die es auch alle in der Realität gibt. Deren Leben oder Charakter spielen allerdings kaum eine Rolle in der Geschichte. Es zählt viel mehr das, was sie entdecken, erfahren und erleben: So die junge Kunstgeschichtsstudentin Francesca Cappelletti. Sie arbeitet bei einem Projekt mit, das zwei vermeintliche Caravaggio-Bilder untersucht. Francesca ist dabei für die geschichtliche Rekonstruktion der Herkunft und Entstehungszeit der Gemälde zuständig. Eine nicht ganz einfache Aufgabe, denn oft wechseln Kunstwerke ihre Besitzer und der Weg eines Bildes ist nicht selten verschlungen und unübersichtlich.
Erschwerend kommt hinzu, dass vor allem private Archive nicht immer der Öffentlichkeit oder Forschern zur Verfügung stehen. Jedoch gelingt es Francesca Cappelletti, Zugang zu solch einem Archiv zu bekommen und stößt bei der Arbeit zusammen mit ihrer Kommilitonin Laura Testa auf einen Hinweis zu dem verschollenen Caravaggio-Werk „Die Gefangennahme Christi“.
Die beiden beginnen sich schon bald zu fragen, was aus jenem Bild geworden ist. Die Nachforschungen bringen Francesca nach Edinburgh, wo die Spur plötzlich abbricht. Die engagierte Studentin fliegt enttäuscht zurück nach Rom, ihrer Heimatstadt.
Den Fragen, was mit einem Bild über die Jahrhunderte passiert, wie und warum es manchmal den Besitzer wechselt, werden in dem Roman nachgegangen. Auch der Urheber des Gemäldes – Caravaggio – wird ins Auge gefasst: Warum stand er in damaligen Polizeiberichten, wieso musste er aus Rom, der Stadt in der er berühmt wurde, fliehen und woran oder durch wen starb er mit nur 39 Jahren?
Obwohl in Jonathan Harrs Buch nur skizzenhaft Antworten über Caravaggio gegeben werden, machen gerade die Lücken Lust auf mehr aus dem geheimnisvollen Leben Caravaggios. Wie praktisch, dass sich im Quellenverzeichnis am Ende des Buches Angaben zur weiterführenden Lektüre finden – einem Schmökern in den bekanntesten Caravaggio Biografien und dem eigenen Nachlesen der in der Geschichte erwähnten Zeitschriftenartikel steht somit nichts im Wege.
Doch was wäre die Geschichte, wenn jener verschollene Caravaggio nicht gefunden würde? Und in der Tat stößt einige Jahre nach der vergeblichen Suche Francesca Cappellettis der Restaurator Sergio Benedetti, der in der National Gallery of Ireland tätig ist, in einer Jesuitenresidenz auf ein Gemälde, das der „Gefangennahme Christi“ verblüffend ähnelt. Ist es wieder einmal nur eine täuschend echte Kopie? Oder ist es dieses Mal wirklich das Original Caravaggios? Spannende und nervenaufreibende Nachforschungen beginnen.
Die verschiedenen Blickwinkel ermöglichen es, einen Eindruck von der Arbeitsweise des Kunsthistorikers sowie des Restaurators zu bekommen und verschiedene Untersuchungs- und Annäherungsmöglichkeiten an Kunstwerke kennen zu lernen.
Mit einem unauffälligen Schreibstil entführt Jonathan Harr in die Welt der Kunst. Mit Sachkenntnis und sorgfältiger Recherche gelingt es dem Autor in seinem Roman einen alten Meister und dessen Werke wieder zum Leben zu erwecken.
Von Laura Flohr
Literaturangaben:
HARR, JONATHAN: Der verschollene Caravaggio. Aus dem Englischen von Gabriele Bonhoeffer. dtv premium, München 2008. 280 S., 14,90 €.
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