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Ein Wegweiser durch die Literatur

„Deutsche Literatur im Zeitalter des Barock“ von Volker Meid

© Die Berliner Literaturkritik, 26.08.09

Bücher, Flugblätter, Schrifttum und Schriftreichtum – wohin mit euch, wo ist die Zeit, um all eure Informationen, eure Wissensvermittlung, eure Prosa, eure Lyrik, eure Liebe und euer Leben in mich aufzusaugen? Diese vielen bekannte Form der literarischen Erschöpfung - gleich der Kapitulation vor dem Gedruckten - beschäftigt Leserinnen und Leser nicht erst in Zeiten täglicher Twittertumbheiten und tausender Verlage mit abertausenden Verlagsprogrammen, die halbjährlich so viele Schrifterzeugnisse auf den Markt bringen, dass selbst eine ganze Armada an Lesern vor ihnen kapitulieren muss.

Auch zu früheren Zeiten deutscher literarischer Lektüre gab es dieses nicht zu begreifende und schwer zu fassende Überangebot. Wir sind uns heute dessen bloß nicht mehr bewusst. Ein Glück, dass wir die Historiker, die Quellenforscher also, unter uns haben, die alles, was dereinst den Markt besetzte, ausgiebig ausfindig machen. Am Allerbesten können das in jenem Sujet selbstredend die Literaturhistoriker. Volker Meid, dem das hier vorliegende Werk zweifelsfrei zugeschrieben werden kann, ist einer von ihnen und obendrein ein besonders versierter und patenter Kenner deutschen Schrifttums frühneuzeitlicher Epochen.

Im fünften Band der simpel und zugleich treffend betitelten Reihe „Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart“ beschäftigt Meid sich auf fast 1.000 Seiten mit der Epoche des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Man könnte auch sagen mit der Epoche des Barock oder der Zeit zwischen Reformation und Aufklärung. Man könnte vieles zu dieser Zeit sagen und Meid sammelt gleich zu Beginn Pluspunkte, indem er bekennt, dass Zeitzensuren immer problematisch und niemals vollständig sind, sie aber der Einfachheit und Strukturliebe halber so, wie wir sie gerade benutzen, sehr hilfreich sind. Jene Form des wissenschaftlichen Verständnisses hat alle postmodernen, dekonstruierten und wie auch immer gearteten Erkenntnisrevolutionen im Blick, aber dennoch hinter sich gelassen: Genau das zeichnet ein gutes wissenschaftliches Buch aus. Es orientiert sich am allerneusten Stand und informiert konkret und dennoch variabel, mit einer ausgezeichneten Struktur, die bereits das übersichtliche und logische Inhaltsverzeichnis erahnen lässt.

Zu diesem Inhalt vermögen wir Literaturinteressierte nur so viel zu sagen, wie es der Eingangsabschnitt anzudeuten vermochte: Viel, viel Lesestoff war vorhanden, allein die Zeit alles zu verdauen, war niemandem gegeben. Opitz, Gryphius, Simplicissimus und Jacob Böhme kennen wir und könnten damit bei „Wer wird Millionär?“ wohl ein wenig glänzen. All die Schelmenromanciers aber, die geistlichen Lyriker, die Psalmendichter, die Theaterschriftsteller und die Mystiker jener Zeit waren bis dato nur den Experten bekannt. Wer sich näher mit ihnen beschäftigen und fundierte Anthologien und Biographien serviert bekommen möchte, der sollte und muss in Meids Buch schauen.

Glanzstück und gewinnbringendes Pfund dieses Werkes ist die klare und aus moderner Sicht aufgepfropfte, aber dadurch nicht zerstörende, Genreeinteilung. Lyrik, Drama, Epos, Roman und Prosa als grobe Kapitelkategorien werden in alle erdenklichen Unterformen aufgeteilt und mit entsprechenden Protagonisten und Zitatausschnitten vorgestellt und belegt. Die entsprechende historische, soziologische und künstlerische Einordnung sowie deren Grunderklärungen machen das Ganze zu einem spektakulären Gesamtwerk, dem fast keine Kritik zu Teil werden kann. Fast.

Für jemanden, wie den Autor dieser Rezensionszeilen, der sich einmal intensiv mit Johannes Kepler beschäftigt hat, also dem wohl wichtigsten Wissenschaftler der gesamten frühen Neuzeit, ist es ein Gräuel, verkennen andere seine historischen und entscheidenden Taten. Meid gehört zu jenen Unverbesserlichen und begeht hier anscheinend folgende Fehlüberlegung: Dass trotz aller hier vorgestellter Intensität die deutsche Literatur der französischen oder englischen jener Zeit weit hinterher war, steht außer Frage. Dies aber auf alle Lebensbereiche, also auch den der Wissenschaft übertragen zu wollen, ist historisch falsch und funktioniert zumindest in Keplers Fall überhaupt nicht.

Dieser kleinen Lapsus in einem ansonsten ausgezeichneten und überaus fundierten Werk ändert freilich wenig an unserem abschließenden Fazit, dass dieses Überblickswerk genau das erfüllt, was Literatur-Interessierte sich davon versprechen: Einen Wegweiser durch den schon damals vorhanden Wust der Literatur.

Von Marco Gerhards

Literaturangabe:

MEID, VOLKER: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus zur Frühaufklärung. C. H. Beck, München 2009. 984 S., 49,90 €.

Weblink:

C. H. Beck


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