Für einen Schriftsteller, der von der Liebe erzählen will, bedeutet die Postmoderne eine Zumutung: „Was! es gäbe also einerseits ein ich, andererseits ein du und dazwischen ein … Bindeglied?“ zweifelt Roland Barthes, um daraufhin die Sprache der Liebe in hunderte Zitate zerfallen zu lassen. Eine große Erzählung von der Liebe erscheint nach diesem Zerfall wie ein trotziger und naiver Traditionalismus. Ein Beispiel hierfür liefert Helmut Krausser, dessen Roman „Eros“ entsprechend kritisch besprochen wurde.
Thomas Pletzinger, Jahrgang ’75 und Absolvent des Leipziger Literaturinstituts, stellt sich mit seinem Debütroman der Herausforderung, eine zeitgemäße wie ernsthafte Geschichte über die Liebe zu erzählen. Eine Geschichte, in der die Liebe weder als kitschiger Anachronismus, noch als ironisches Zerrbild erscheint. Seine paradoxe, eben darin aber glaubwürdige Poetik bringt der Autor wie nebenbei auf den Punkt: „Zusammenhänge herstellen, wo keine Zusammenhänge sind.“ Die Literatur reicht der chaotischen Wirklichkeit nicht das Wasser. Sie scheint zunächst vielmehr der Herstellung einer Ordnung zu dienen, in der die Wirrnis der Liebe und des Lebens verstehbar erscheint – so zumindest die Hoffnung des Protagonisten Daniel Mandelkern: „Ich schreibe, weil ich immer schreibe, wenn die Dinge kompliziert werden“, so erläutert dieser seinen Schreibimpuls. Mandelkern geht es zunächst nur darum, das Scheitern seiner Beziehung zu Elisabeth, seiner Frau und Chefin, zu verstehen: „Wir haben doch einmal miteinander reden können, wir waren doch einmal gleich alt, wir haben doch einmal gewusst, wer wir sind (wir waren einmal: wir).“ Sieben Postkarten und ein 345 Seiten starker Papierstapel dokumentieren diesen Versuch.
Diese Papiere liegen nun dem Leser mit diesem Roman vor. Man erfährt, dass Mandelkern von Elisabeth beauftragt wurde, den erfolgreichen Kinderbuchautor Dirk Svensson für den Kulturteil der Wochenzeitung zu porträtieren, für die sie beide arbeiten – kurz bevor er sie im Streit verließ. Mandelkern reist trotzdem an den Luganer See, der Autor holt ihn am Hafen ab. Svensson entpuppt sich als sonderbarer, verschlossener Typ, stets begleitet von seinem dreibeinigen Hund. Nach ihrer Ankunft in seinem ruinenartigen Haus entzieht sich Svensson dem Journalisten von Beginn an. Anstatt das Interview zu führen, stöbert Mandelkern in Svenssons Ruine herum. Er findet ein unvollendetes Roman-Manuskript des Kinderbuchautors und beginnt zu lesen.
Svensson erzählt darin von seiner rätselhaften Vergangenheit; es geht um eine tödliche Dreiecksbeziehung, angesiedelt zwischen New York und Brasilien, Finnland und Deutschland. Pletzinger entwirft hier einen vielschichtigen und komplexen Text im Text. Der dreibeinige Hund taucht auch in diesem Text immer wieder auf. An die Stelle des geplanten Autorengesprächs tritt für Mandelkern die eindringliche Lektüre dieses autobiographischen Selbstentwurfs, der für ihn immer mehr zu einer eigenständigen Wirklichkeit wird. Schließlich stirbt der Hund des Schriftstellers. Als Mandelkern vermutet, dass Svensson bei der titelgebenden „Bestattung eines Hundes“ auch das Manuskript und mit ihm seine zweifelhafte Vergangenheit an der tiefsten Stelle des Luganer Sees versenken will, entwendet der Journalist Teile der Aufzeichnungen. Das gewünschte Autorenporträt schreibt er nicht.
Am Ende der Lektüre des autobiographischen Manuskripts steht für Daniel Mandelkern die Einsicht, dass das Leben und die Liebe, genau wie das Schreiben, nicht als „Strich“, sondern vielmehr als „Wirbel“ gedacht werden müssen. Das Leben kennt keine Ordnung, und jeder Versuch, sie herbeizuschreiben, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Daniel erkennt, dass er als Person „ein Hin und Her, ein Entweder Oder, ein Vielleicht“ ist. Allein auf der Grundlage dieser Selbsterkenntnis scheint auch ein Wiederanknüpfen an die Liebe möglich: „Dass ich bei Dir bleiben möchte, Elisabeth.“ Mandelkern schickt seiner Frau seine Aufzeichnungen, um sich zu erklären. Sie enden mit einem leisen Wunsch: „ich hoffe, Du verstehst mich.“
Doch was bedeutet es, diesen Text zu verstehen? Pletzinger formuliert in kurzen, abgerissenen Fragmenten – eine Erzählweise, die an Max Frischs autobiographische Erzählung „Montauk“ erinnert, auf die sich Pletzinger auch in Zitaten und Anspielungen immer wieder bezieht. Zwar sind die einzelnen Fragmente locker ineinander verkeilt, laufen dabei jedoch nur ungefähr und vage auf einen erzählerischen Fluchtpunkt zu. Doch scheint eben diese Offenheit ein erzählerisches und weltanschauliches Prinzip zu kennzeichnen. Mandelkern selbst formuliert die Fragen, auf die es keine präzisen Antworten gibt: „Wer genau ist Daniel Mandelkern?“ „Wer genau ist Dirk Svensson?“ „Was soll das alles?“ Das Leben jenseits der autobiographischen Erzählung ist nicht greifbar. „Wenn man sein Leben mit dem Geschriebenen vergleicht, bleibt lediglich ein Rest von Ähnlichkeit, nicht viel.“
Pletzinger kappt zunächst die Verkabelung zwischen Literatur und Leben. Auf der anderen Seite bedeutet dieser Verlust einen Gewinn an literarischer Freiheit, die in „Bestattung eines Hundes“ virtuos genutzt wird: Ein überbordendes, wildes Erzählen steigt auf in absurde Sphären, zieht sich gleich darauf zurück in eine unprätentiöse Lakonie, die ihrerseits immer wieder von philosophischen Reflexionen über das Schreiben und das Leben unterbrochen wird. Pletzinger variiert, experimentiert und vermeidet ermüdende Eindeutigkeit. Dies gilt für die Form wie für den Inhalt.
Die Offenheit des Textes wird zum Prinzip, das von der psychologischen Entwicklung des Protagonisten erzählerisch getragen wird. Die unterschiedlichen Erzählweisen und Stilebenen werden miteinander „verrührt“ und illustrieren auf diese Weise den nicht zu bändigenden „Wirbel“ des Lebens und der Liebe. Die Postmoderne bedeutet hier nicht negativen Zerfall, sondern Chance: Pletzinger gibt der Literatur und dem Leben ihr Anrecht auf Unordnung und Offenheit und Nicht-Festlegung zurück. Gerade in einer Zeit, die insbesondere von jungen Autoren einen ‚relevanten Realismus‛ einfordert, liest sich dieser Roman wie ein erfrischendes „Jetzt erst recht!“.
Von Kai Sina
Literaturangaben:
PLETZINGER, THOMAS: Bestattung eines Hundes. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 345 S., 19,95 €.
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