Von Johannes Wagemann
Seine Sehnsucht nach ihr konzentriert sich auf wenige Augenblicke. Chris Dudok durfte nur kurze Zeit mit dieser einen Frau verbringen, und doch prägt sie sein Leben. „Julia“ - Otto de Kats gleichnamiger Roman ist die berührende Geschichte einer Liebe.
Dudok wird von seinem Vater, einem niederländischen Fabrikanten, 1938 nach Lübeck geschickt, um die deutsche Konkurrenz kennenzulernen. Er lernt aber vor allem die Deutschen des Dritten Reichs kennen - die Deutschen, die sich für den „Kunstmaler aus Wien“ begeistern. Wäre da nicht die Kollegin Julia Bender. Sie gibt seinem Leben in Norddeutschland einen Sinn - fast lässt sie ihn die stumpfsinnigen Braunhemden vergessen, die vor dem Holstentor aufmarschieren.
Der Niederländer sieht die junge Deutsche im Büro seines Chefs. Sie scheint die zielstrebige Ingenieurin zu sein. Er ist der Betriebswirt, der sich nur widerwillig in seiner Rolle als Fabrikerbe zurechtfindet. De Kat beschreibt Dudok angenehm distanziert. Es bleiben Leerstellen, die der Leser selbst zu füllen hat. Auch die einzige Liebesnacht von Chris und Julia wird lediglich angedeutet.
Hauptsächlich geht es um den Schmerz dieser schwierigen Liebe. Chris verlässt Lübeck, als es für Julia eng wird, weil ihr Bruder sich gegen Parteigrößen stellt und sie als Kommunistin gilt.
In De Kats drittem Roman (alle drei wurden ins Deutsche übersetzt) gibt es mehrere Erzählebenen: die Liebe zwischen Chris und Julia, die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und die Identitätssuche von Chris. De Kat, früher Literaturkritiker und Verleger, hat eine bittere aber lesenswerte Liebes- und Lebensgeschichte geschrieben.
Literaturangabe: DE KAT, OTTO: Julia. Übersetzt aus dem Niederländischen. Insel Verlag, Berlin 2010. 168 S., 19,80 €.
Weblink: Insel-Verlag