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Eine Liebesgeschichte

Über das Lieben und Leben einer verlassenen Frau

© Die Berliner Literaturkritik, 06.01.11

MÜNCHEN (BLK) – Im Hanser Verlag ist im Juli 2010 der Roman „Am Meer ist es wärmer“ erschienen. Die Liebesgeschichte von Hiromi Kawakami wurde von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler aus dem Japanischen übersetzt.

Klappentext: Ein Fischerdorf, zwei Bahnstunden von Tokio entfernt: Manazuru. Jenes Wort schrieb Keis Ehemann in sein Tagebuch, bevor er sie für immer verließ. Warum hat er sie damals im Stich gelassen, und wohin ist er gegangen? Keis Liebe zu ihrem Mann ist immer noch grenzenlos, und so versucht sie, dem Rätsel seines Verschwindens auf die Spur zu kommen. Eine geheimnisvolle Unbekannte scheint dabei mehr als sie selbst zu wissen. Hiromi Kawakami, einer der populärsten Autorinnen in Japan, gelingt es in ihrem Roman meisterhaft, die Grenze zwischen Realität und Unwirklichkeit zu übertreten.

Hiromi Kawakami wurde 1958 in Tokio geboren. Sie studierte Naturwissenschaften und unterrichtete anschließend Biologie. 1994 erschien ihr erster Roman. Ihre Bücher wurden mit zahlreichen japanischen Literaturpreisen ausgezeichnet, und sie zählt zu den populärsten Schriftstellern Japans. „Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß“ (2008) war ihr erstes, sehr erfolgreiches Buch auf Deutsch. 2009 erschien „Herr Nakano und die Frauen“.

Leseprobe:

 ©Hanser Verlag©

Das Schiff kippte langsam zur Seite, dann kenterte es ganz

plötzlich.

Menschen wurden von Bord geschleudert und versanken.

Die Passagiere hatten dicht gedrängt auf dem Schiff gestanden. Der Taifun war fast abgezogen, dennoch war es auch am frühen Nachmittag noch ziemlich stürmisch. Am ersten Tag des Festes hatte man alle Rundfahrten abgesagt, aber als der Wind sich am Abend des zweiten Tages legte, hatte man beschlossen, die letzte doch noch stattfinden zu lassen.

In Windeseile vergrößerte sich die ursprünglich versammelte Menge um das Zehnfache. Von überallher strömten Menschen herbei. An der Straße reihten sich Stände, und es roch intensiv nach den auf den heißen Teppan-Platten brutzelnden Soßen.

Auf dem gekenterten Schiff hatte sich eine Musikkapelle befunden, und allein schon wegen der Musiker und ihrer Instrumente – Flöten und Trommeln – herrschte drangvolle Enge, die noch durch zahlreiche andere Personen in traditionellen Kimono-Jacken verstärkt wurde.

„Warum so eilig ?“, fragte die Frau. Mit fortschreitender Nacht hatte ihre Präsenz sich verdichtet. Ich spürte sie nicht nur, sondern konnte auch immer wieder deutlich ihre Gestalt erkennen.

„Erst verschwindest du, dann bist du wieder da“, sagte ich.

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Die Frau lachte leise. „Du hast mich doch so eindringlich gerufen“, antwortete sie.

„Von eindringlich kann keine Rede sein. Ich kann auf Begleitung

verzichten.“

„Die haben es aber eilig zu sterben“, sagte die Frau spöttisch.

Menschen, die von dem überladenen Schiff geschleudert worden waren, trieben in den Wellen. Wo Meer und Dunkelheit aufeinander trafen, bewegten ihre Köpfe sich auf und ab.

„Es ist nicht tief dort, ich glaube nicht, dass sie ertrinken werden“, sagte ich.

Die Frau nickte. „Aber irgendwann sterben sie doch“, murmelte sie.

Das Schiff drehte sich, bis der Kiel aus dem Wasser ragte. Zahlreiche Köpfe tauchten darunter hervor. Das Ganze wirkte wie ein Spiel, das im ruhigen Flachwasser nicht weit vom Strand stattfand, obwohl sicher nicht wenige Menschen in die Tiefe gedrückt wurden.

„Ob es Tote gibt ?“, fragte ich die Frau.

„Weiß ich nicht“, antwortete sie wie üblich etwas schroff.

Einige der im Meer Treibenden kraulten dem Ufer entgegen, während andere auf der Stelle schwammen. Man hatte fast den Eindruck, das Schiffsunglück wäre ein Teil der Festivitäten.

Am Strand fand mit großem Getöse ein großes Feuerwerk statt.

 

Das Schiff mit den Göttersänften fuhr weiter, ohne von den Schiffbrüchigen Notiz zu nehmen, und legte am Ufer zu Füßen des Schreins an.

Unter lautem Rufen trugen die Männer die Mikoshi den steilen Hang hinauf zum Schrein.

Die Menge riss mich bis an den Anfang der Treppe zum Schrein mit, so dass ich das Schiff nicht mehr sehen konnte. Ich konnte mich nicht wehren.

Ich rief nach der Frau. Sie war kurz vorher verschwunden. Menschen, die Gesichter von der festlichen Stimmung erhitzt, strömten an mir vorbei. Ich nahm sie gar nicht einzeln wahr, sondern hatte lediglich das Gefühl, von etwas Heißem umgeben zu sein.

Während ich mich durch die wogende Menge drängte, stieß ich immer wieder mit Leuten zusammen. Wie harte Bälle schlugen ihre Arme und Beine gegen meinen Körper. Ich flüchtete in eine Gasse, um zu Atem zu kommen. Als ich mich nach der Frau umschaute, war sie nirgends zu sehen.

Ich stieg die Gasse hinauf. An ihrem Ende traf ich auf ein Grundstück mit einer Ruine. Um die morschen Balken rankten sich Kletterpflanzen. Im kniehohen Gras lagen Felsen aus dem Meer. Der Festlärm drang nicht bis hierher.

„Man braucht nur ein Stück bergauf zu gehen, und schon ist es ruhig“, sagte die Frau.

Ich fuhr zusammen. „Seit wann bist du hier?“, fragte ich.

„Ich bin immer da“, erwiderte sie.

Wir setzten uns auf einen der Felsen und blickten aufs Meer. Viel war nicht davon zu sehen, da einige alte Lagerhäuser die Sicht versperrten.

Das Feuerwerk war noch im Gange. Aber ich konnte es nicht hören. Anscheinend waren, wie am Tag zuvor, als ich in dem weißen Gebäude Kaffee getrunken hatte, alle Geräusche verstummt.

„Sieh mal !“, rief die Frau und deutete zwischen den Lagerhäusern hindurch. Träge trieb das gekenterte Schiff auf dem Meer. Unzählige Funken sprühten um seinen Rumpf, verwandelten sich in kleine Flammen und umschwebten ihn geisterhaft. Doch das Holz war nass, und es entstand kein richtiger Brand. Nur hier und da flackerten kleine Feuer auf, die jedoch bald wieder verloschen.

©Hanser Verlag©

Literaturangabe:

KAWAKAMI, HIROMI: Am Meer ist es wärmer. Aus dem Japanischen übersetzt von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler. Hanser Verlag, München 2010. 208 S., 17,90 €.

Weblink:

Hanser Verlag


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