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Eine moderne Liebesgeschichte

Eine Frau liebt einen Mann, weil der die Frau liebt

© Die Berliner Literaturkritik, 04.08.09

MÜNCHEN (BLK) – Im August 2009 ist beim Carl Hanser Verlag der Roman „Der Mann schläft“ von Sybille Berg erschienen

Klappentext: Eine Frau liebt einen Mann, weil der die Frau liebt. Was kann man sich Besseres wünschen in einer Welt, in der die Liebe nur noch ein Marketinginstrument ist? Ebendiese Welt kennt kein Pardon: Auf einer Reise nach China kommt der Mann gleich wieder abhanden, und man fragt sich, ob das mit rechten Dingen zugeht. Warum sucht man nach Veränderung, wenn man das Glück gefunden hat? Warum bleibt man nicht dort, wo man glücklich ist? Sibylle Berg erzählt eine moderne Liebesgeschichte und zeigt mit so melancholischen wie bösartigen Bildern eine Welt, in der man höchstens zu zweit überleben kann.

Sybille Berg ist eine deutsche Dramatikerin und Schriftstellerin. Sie wurde 1962 in Weimar geboren und lebt heute in Zürich. Sie schreibt Romane, Essays, Theaterstücke und Kolumnen. Ihr erster Roman „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ (1997), der zuvor von einigen Verlagen abgelehnt wurde verkaufte sich über 100.00mal. (rud/ber)

Leseprobe:

© Carl Hanser Verlag ©

 

Damals.

Im Winter. Vor vier Monaten.

Draußen war ein Winter gewesen, der den Bildern, die wir früher vom Winter gehabt haben, nicht einmal entfernt glich. Saubere, tiefgekühlte Dezember mit Reif und kleinen Häusern, in denen gepflegte Familien vor Bratäpfeln saßen, gab es schon lange nicht mehr. Kein Schnee verdeckte die Unattraktivität der Welt, nur dunkelgrau war sie, klamm und verwaschen. Während drei langer Monate würde das Licht sich kaum verändern; dem Winter würde ein verregneter Frühling folgen, der in einen trüben Sommer überging.

Nebel lag auf der Stadt, die noch nicht einmal eine Stadt war, und der Mensch hielt Winterschlaf. Die es sich leisten konnten, verließen ihre Häuser nicht, sie schlurften in Pyjamas herum, Speisereste im Haar, leere Pizzaschachteln unter dem Bett, und Spinnen mit neurotischen Gesichtern spannen ihre Netze zwischen den Läufen der Personen. Die wenigen, die man auf öffentlichem Gelände sah, waren kaum dazu geeignet, einen mit kleinen, fröhlichen Sprüngen das Leben feiern zu lassen.

Ich war auf der Straße gewesen, hatte in hoffnungslose Gesichter gesehen und mich einen Moment lang gefühlt, als sei ich wieder eine von ihnen, die doch so warteten, dass etwas eintreten werde, durch das sie sich endlich wieder lebendig fühlten. Ich hatte mich an jenem Morgen so stark an das Gefühl erinnert, bei aberwitzigem Wetter alleine zu sein, dass mir übel geworden war, für Sekunden, in denen ich aus der Wirklichkeit gefallen war. Ich hatte eine Zeitung kaufen wollen, und als ich, die Augen vor dem Elend halbverschlossen, das einzige im Winter geöffnete Café passierte, vermeinte ich darin Gespenster aus der Vergangenheit wahrzunehmen. Eine füllige Frau mit Armprothese saß neben einem Mann, an den ich mich nur erinnerte, weil er so übertrieben unscheinbar wirkte wie eine Karikatur.

Als ich auf dem Rückweg vom Kiosk erneut an dem Café vorbeikam, waren beide verschwunden. Da man sich, wie ich an diesem kleinen Schattenspiel meiner Erinnerung merkte, der Realität nie allzu sicher sein durfte, betrat ich wenig später unser Haus mit Sorge. Man konnte nicht oft genug überprüfen, ob all das, was einen froh machte, noch an seinem Platz war. Mir war schwindelig geworden vor Erleichterung, denn der Mann war da.

Er lag und schlief und sah wunderbar dabei aus, doch, anders als bei den meisten seiner Spezies, die nur im Schlaf entspannt und reizend wirken, kannte sein Ausdruck keine Veränderungen; auch nach dem Erwachen würde er wie benommen bleiben und seinen schweren Körper bewegen, als wäre er in einem anderen Element zu Hause als in der Luft. Vielleicht nähme sich der Mann unter Wasser gewandt aus; doch ich hatte ihn noch nie tauchen sehen, denn er war zu träge für die meisten Aktivitäten, mit denen Menschen, die keiner körperlichen Arbeit nachgehen, ihr Leben verstreichen lassen.

Da alles an seinem Platz war und es nicht aussah, als wäre das, was ich für mein Leben hielt, nur Phantasie, konnte ich weiter meinem Tagesplan folgen. Fast alle Menschen lieben geregelte Abläufe, da muss man sich nichts vormachen. Routine macht, dass wir nicht ins All abgetrieben werden, ohne Verbindung zur Raumstation. Nach der Zeitung, dem Gebäck folgte der Kaffee. Ich beobachtete, wie im Nachbarhaus, in das ich durch die Palmen hindurch sehen konnte, Menschen an Küchentische schlurften, verschwommen von der Nacht, das Licht kaum vorhanden, sodass es sich durchaus auch um großgewachsene Insek ten handeln konnte, die von der Stadt Besitz ergriffen hatten. Jeden Morgen stand ich vor der Tür und freute mich, dass ich die Nacht überlebt hatte, dass alle Häuser sich noch am Ort befanden und der Mann im Bett lag. Vielleicht war ich der einzige Mensch, der daran ein Vergnügen hatte, denn der Mann entsprach kaum dem, was man gemeinhin als Kleinod bezeichnete.

Er war nicht auffallend schön oder reich, kein guter Redner oder charmant auf eine Art, die ihm Bewunderung einbrachte. Außer dass er mir das Gefühl gab, ich sei liebenswert, tat er sich in keinem Bereich mit Glanzleistungen hervor. Früher, alleine, hatte ich befürchtet, so zu werden wie die meisten um mich herum: Immer fester in den Gewohnheiten, schneidend die Stimme, mit der ich reden würde, wenn nur einer fragen wollte, und ich wüsste es doch besser. Vielen in den mittleren Jahren war jede Niedlichkeit abhandengekommen, und eine meiner großen Sorgen war es gewesen, gleichfalls zu einer unerfreulichen Person zu werden, mit schlechtem Geruch und gelber Ausstrahlung. Es war so leicht, sich in einen verkommenen Zustand zu begeben, man brauchte nur einen Schritt, ein Loslassen, und schon saß man keifend vor dem Kaufhaus mit einer Flasche Brennspiritus in der Hand.

Ich blickte, auf der Schwelle stehend, in den Raum, ins Bett, auf die hundertzehn Kilo darin, die keine Geräusche machten. Manchmal hielt ich dem Mann die Nase zu, denn ich wollte sehen, ob er noch lebte. Normalerweise: ja. Ich nannte ihn nur »der Mann«, damit er nicht verschwinden würde, da sich doch meist alles, dem man einen Namen gibt, entfernt.

Er war die Antwort auf alle Fragen, die ich mir, bevor wir uns trafen, nicht gestellt hatte. Sie waren unklar immer da gewesen, wie ein Hunger, und ich hatte sie Sehnsucht genannt, und Heimweh.

Dass alles, was das Leben an Großartigem für mich bereithalten würde, nur ein Mensch war, hätte mich beschämen können, doch es war mir völlig unwichtig, vor mir selber glänzend dazustehen.

Zum Glück! Denn sonst hätte ich den Tisch mit silbernen Kerzenleuchtern decken müssen, zu klassischer Musik, ich würde gut riechende Plunderteigstücke aus dem Umluftofen nehmen, sie mit selbsteingekochter biologischer Konfitüre bestreichen, und die Kinder rufen: Rainald, Beatrice, poschalista. Die Kinder würden multilingual aufwachsen und ausschließlich Sprachen beherrschen, die ich nicht verstand.

Mein Mann käme zu Tisch, und er trüge einen Kaschmirschal um den Hals, unter dem er offene und sehr rare Geschwüre versteckt hielte.

Ich war froh, dass ich nicht dem Zwang unterlag, einem Bild entsprechen zu müssen, das ich mir von mir gemacht hatte. An jenen Tag, der die Persiflage eines Winters war, erinnere ich mich, weil ich damals so glücklich war, dass ich fast traurig wurde, denn ich wusste, dass einem alles genommen wird, was Glück erzeugt.

Der Mann öffnete die Augen und war sofort anwesend. Da gab es kein langsames Zusichkommen – wo bin ich, was tue ich hier –, er wachte auf, sein Blick suchte mich, dann entspannte er sich, weil ich war da, und alles gut damit. Er rollte sich aus auf den Rücken wie ein Walfisch, der von weinenden amerikanischen Frauen ins Meer zurückbefördert wird. Alles an ihm war groß und rund, die Augen, die Füße, der Körper, er wirkte wie ein Spielzeug für Kinder, das man in die Badewanne legt und das über Nacht das Zehnfache seiner eigentlichen Größe erreicht.

Ich hatte keine Ahnung, was er dachte, was er vom Leben wollte, es interessierte mich nicht, ihm Fragen zu stellen, denn zum einen hatte ich schon alles gehört, was Menschen mir von ihren Plänen, Ideen, Projekten, Gefühlen, Verletzungen, Ängsten und Fähigkeiten zu berichten wussten, zum anderen würde er nur die Schultern zucken und antworten: »Keine Ahnung. Vielleicht sind wir morgen tot.«

Ich hatte ihn gerne, auf eine bedingungslose Art, und vielleicht empfand er dasselbe für mich, ich würde es durch Fragen nicht herausfinden. Ich misstraute den Worten. Und erfreute mich umso mehr daran, dass der Mann erschrak, wenn ich stolperte, dass er sofort aus seiner Lethargie erwachte, wenn mich scheinbar etwas bedrohte, und dass er mich trug, wenn ich müde war. Ich war alt genug zu wissen, dass es Glück ist, einen zu treffen, den man so gern hat, dass er einen nie stört.

 
Ich hatte zu viele befremdliche, kurze Liebesgeschichten hinter mir, und ich wusste, dass es sehr selten war, dass sich zwei mit der gleichen Müdigkeit und dem Wunsch, nicht allein zu sterben, erkannten.

Sicher konnte man es Resignation nennen, nicht mehr auf ein Wunder zu warten, doch für mich hatte Hoffen immer Ohnmacht bedeutet.

Draußen ging ein kleiner Regen; in eiskalten Fäden verschleierte er den Blick auf das Nachbarhaus, aus dem die Insekten verschwunden waren, die Lichter gelöscht, der Rauch verstummt. Ich ging nochmals zu Bett, einfach weil ich es konnte und weil da dieser Mann war, der mein Zubettgehen nicht allzu verzweifelt erscheinen ließ. Wir sollten verreisen, dachte ich, als ich auf den Bauch des Mannes kletterte, der wie ein Mittelgebirge war, um mich daraufzulegen. Verreisen. Und das war ganz sicher der dümmste Gedanke, den ich in meinem ganzen Leben gehabt habe. Damals im Winter, an diesem Morgen, der immer noch besser war als alles, was folgen sollte.

© Carl Hanser Verlag ©

Literaturangabe:

BERG, SIBYLLE: Der Mann schläft. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2009. 312 S., 19.90 €.

Weblink:

Carl Hanser Verlag


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