Von Andreas Heimann
Erich Loest hat seinen neuen Roman einem vertrauten Thema gewidmet. Wie in vielen seiner Werke geht es um deutsche Geschichte, erzählt am Beispiel seiner Heimatstadt Leipzig. In „Löwenstadt“ spannt der diesjährige Nationalpreisträger den Bogen allerdings besonders weit. Loest knüpft dabei an seinen vor genau einem Vierteljahrhundert veröffentlichten Roman „Völkerschlachtdenkmal“ an, dem zwangsläufig der Blick auf die Wende und die Wiedervereinigung fehlte. Im neuen Werk, passenderweise rechtzeitig erschienen, bevor in diesem Herbst an 20 Jahre Mauerfall erinnert wird, holt der Schriftsteller genau das nach.
Loest, in diesem Februar 83 Jahre alt geworden und Ehrenbürger der Stadt Leipzig, bewegt sich damit auf dem Terrain, das er am besten kennt. Er widmet sich voll und ganz der „Löwenstadt“, in der er mittlerweile auch selbst wieder lebt. Aber Stadtgeschichte ist nicht sein Thema, eher europäische, die Geschichte von Anpassung und Widerstand, Gewalt und Krieg, Opportunismus und politischer Verlogenheit. Loest kennt sich damit aus: Sieben Jahre lang saß er in der DDR selbst wegen „konterrevolutionärer Gruppenbildung“ im Gefängnis in Bautzen. Auch Alfred Johannes Linden, der Hauptfigur des Romans, ist die Situation vertraut, sich in Verhören rechtfertigen zu müssen.
Linden ist wegen des Vorwurfs verhaftet worden, das Völkerschlachtdenkmal sprengen zu wollen. Dort hat der ausgebildete Sprengmeister zuletzt als Pförtner gearbeitet. Loest erzählt seine Geschichte eingebettet in eine viel größere, die mit der Völkerschlacht 1813 beginnt, als Napoleons Truppen bei Leipzig geschlagen werden. Ein sächsischer Bauernbursche namens Carl Friedrich Lindner verliert dabei sein Leben, auch ein Opfer, das sich nicht wehren konnte. Loest erzählt aber auch von denen, die sich ein nationales Denkmal für die Schlacht wünschten, und von denen, die mit nationalen Denkmälern nichts anfangen konnten und es doch bis zum 100. Jahrestag der Schlacht 1913 bauen mussten.
Je weiter Loests Roman ins 20. Jahrhundert vordringt, umso spannender wird es. Alfred Linden ist immer mitten im Geschehen, den Besuch des „Führers“ am Völkerschlachtdenkmal erlebt er ebenso wie die Bombardierung der Stadt, das Ende des Krieges und den Aufstieg der SED-Genossen. Mit deren Versuchen, die Geschichte aus ihrer Sicht umzuschreiben, kann er sich von Anfang an nicht anfreunden. Dass ausgerechnet sein Sohn Joachim ganz auf Karriere mit Hilfe der Partei setzt, ist genauso schmerzlich wie die Entscheidung der Tochter, sich in den Westen abzusetzen. Die Montagsdemonstrationen, die Maueröffnung, die „Wende“ erleben die drei aus unterschiedlichen Perspektiven.
Gerade diese Passagen über deutsch-deutsche Geschichte gehören zu den stärksten des Romans. Loest ist die Lust anzumerken, sich diese Jahre schriftstellerisch noch einmal vorzunehmen. Mit bissigem Humor schaut er auf das wiedervereinigte Deutschland, in dem auch alte Kader noch Karriere machen: Joachim wird zum geschmeidigen Wendehals. Erst jobbt er als LKW-Fahrer, vertreibt später Schuhe und wird Wirtschaftsberater der PDS — eine böse Pointe, aber keine schlechte. „Fredi“ Linden selbst ist längst betagter Rentner und konzentriert sich auf das, was sich auch Loest auf die Fahnen geschrieben hat: aufs Geschichtenerzählen.
Literaturangabe:
LOEST, ERICH: Löwenstadt. Steidl Verlag, Göttingen 2009. 343 S., 20,00 €.
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