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Eine tragische Verbindung

Der Bestseller „Little Bee“ von Chris Cleave

© Die Berliner Literaturkritik, 16.02.11

MÜNCHEN (BLK) – Der Roman „Little Bee“ von Chris Cleave ist im Februar 2011 in der Reihe dtv premium des dtv Verlags erschienen. Er wurde von Susanne Goga-Klinkenberg ins Deutsche übersetzt.

Klappentext: Manchmal wünscht sie sich, sie wäre eine englische Pfundmünze: dann würde sich nämlich jeder freuen, sie zu sehen. Little Bee ist 16 Jahre alt und stammt aus Afrika. In ihrer Heimat ist ihr Schreckliches zugestoßen, und seit zwei Jahren lebt sie in einem englischen Abschiebelager für Asylbewerber. Trotz allem ist sie ein Mensch voll Lebensfreude, Witz und Intelligenz. In England kennt sie außerhalb des Lagers nur zwei Menschen: Vor Jahren hat sie in Nigeria das Ehepaar Sarah und Andrew, die im englischen Kingston-upon-Thames ein privilegiertes Leben führen, kennengelernt. Ein furchtbares gemeinsames Erlebnis hat eine tragische Verbindung zwischen ihnen geschaffen. Als Little Bee aus dem Lager entlassen wird, ruft sie bei Sarah und Andrew an. Ein Anruf, der unvorhersehbare Folgen hat: Einige Tage später bringt sich Andrew um. Und kurz darauf steht Little Bee vor Sarahs Tür ...

Chris Cleave wurde 1973 in London geboren und wuchs in Kamerun und Buckinghamshire auf. Er studierte in Oxford Psychologie und ist u.a. als Journalist tätig. Sein Debütroman Incendiary (deutscher Titel: „Lieber Osama“) erschien in 20 Ländern. Heute schreibt Cleave für den englischen „Guardian“ und lebt mit seiner Frau und seinen drei Söhnen in London.

Leseprobe:

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Oft wünsche ich mir, ich wäre kein afrikanisches Mädchen, sondern eine britische Pfundmünze. Dann würde sich jeder freuen, mich zu sehen. Vielleicht würde ich dich am Wochenende besuchen und dann plötzlich, weil ich ein bisschen wankelmütig bin, den Mann aus dem Laden nebenan besuchen – aber du wärst nicht traurig, weil du stattdessen ein Zimtbrötchen essen oder eine kalte Coca-Cola aus der Dose trinken und nie mehr an mich denken würdest. Wir wären glücklich, wie ein Liebespaar, das sich im Urlaub kennengelernt hat und danach haben beide den Namen des anderen vergessen.

Eine Pfundmünze kann dorthin gehen, wo es ihr am sichersten scheint. Sie kann Wüsten und Ozeane durchqueren und das Geräusch von Gewehrfeuer und den bitteren Geruch von brennendem Dachstroh hinter sich lassen. Wenn sie sich warm und sicher fühlt, dreht sie sich um und lächelt dich an, so wie meine große Schwester Nkiruka die Männer in unserem Dorf anlächelte, in dem kurzen Sommer, als sie kein Mädchen mehr war, aber auch noch keine richtige Frau, und auf jeden Fall vor dem Abend, an dem meine Mutter sie beiseite nahm und ernsthaft mit ihr redete.

Natürlich kann auch eine Pfundmünze ernst sein. Sie kann sich als Macht oder Besitz tarnen, und etwas Ernsteres gibt es nicht für ein Mädchen, das keins von beidem hat. Du musst versuchen, das Pfund zu fangen und in die Tasche zu stecken, so dass es nur dann ein sicheres Land erreichen kann, wenn es dich mitnimmt. Doch ein Pfund beherrscht alle möglichen Zaubertricks. Ich habe schon erlebt, dass es wie eine Eidechse den Schwanz abwirft, wenn man ihm nachjagt, so dass man plötzlich nur noch ein paar Pence in der Hand hält. Und wenn du schließlich nach ihm greifst, kann das britische Pfund den größten Zauber von allen vollführen. Dann nämlich verwandelt es sich nicht in einen, sondern in zwei vollkommen identische grüne amerikanische Dollarscheine. Dann hältst du nur noch Luft zwischen den Fingern, kann ich dir sagen.

Wie gern wäre ich ein britisches Pfund. Ein Pfund ist frei, in ein sicheres Land zu reisen, und wir sind frei, es gehen zu sehen. Das ist der menschliche Triumph. Man nennt es Globalisierung. Ein Mädchen wie ich wird bei der Einreisekontrolle aufgehalten, doch ein Pfund kann über das Drehkreuz springen und dem Zugriff der großen Männer mit den Uniformmützen entgehen und geradewegs in ein wartendes Flughafentaxi hüpfen. Wohin soll’s gehen, Madam? In die westliche Zivilisation, guter Mann, und zwar ein bisschen plötzlich.

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Merkst du, wie hübsch eine britische Pfundmünze spricht? Sie spricht mit der Stimme von Königin Elisabeth der Zweiten von England. Deren Gesicht hat man ihr eingeprägt, und wenn ich ganz genau hinschaue, sehe ich manchmal, wie sich ihre Lippen bewegen. Ich halte sie an mein Ohr. Was sie wohl sagt? Legen Sie mich sofort hin, junge Dame, sonst rufe ich die Wachen.

Wer würde nicht bedingungslos gehorchen, wenn die Königin mit einer solchen Stimme spricht? Ich habe gelesen, dass die Leute in ihrer Umgebung – sogar Könige und Premierminister – automatisch mit dem Körper gehorchen, bevor ihr Gehirn darüber nachdenken kann. Und ich sage euch, es sind nicht die Krone und das Zepter, die diese Wirkung haben. Ich könnte mir eine Tiara auf meine kurzen, krisseligen Haare setzen und ein Zepter in die Hand nehmen, etwa so, und die Polizisten würden trotzdem mit ihren großen Schuhen anmarschiert kommen und sagen: Nette Aufmachung, Madam, aber jetzt würden wir gern mal Ihre Papiere sehen. Es sind nicht die Krone und das Zepter der Königin, die in eurem Land regieren. Es sind ihre Grammatik und ihre Stimme. Deshalb ist es höchst erstrebenswert, so zu sprechen wie sie. So kann man nämlich mit einer Stimme, die klar ist wie der Cullinan-Diamant, zu den Polizisten sagen: Unerhört, wie können Sie es wagen?

Ich bin überhaupt nur deshalb am Leben, weil ich das Englisch der Königin gelernt habe. Vielleicht meint ihr, das sei gar nicht so schwer. Immerhin ist Englisch die Amtssprache meines Heimatlandes Nigeria. Das stimmt schon, das Problem ist nur, dass wir es bei uns zu Hause so viel besser sprechen als ihr. Um das Englisch der Königin zu lernen, musste ich die besten Tricks meiner Muttersprache vergessen. Zum Beispiel könnte die Königin niemals sagen: Gab viel wahala, das Mädchen da hat sich mit Popohexerei meinen Sohn Nummer eins geschnappt, und jeder wusste, sie endet im bösen Busch. Stattdessen muss die Königin sagen: Meine verstorbene Schwiegertochter setzte ihre weiblichen Reize ein, um sich mit meinem Erben zu verloben, und man hätte wissen müssen, dass dies nicht gut endet. Das ist ein bisschen traurig, findet ihr nicht? Das Englisch der Königin zu lernen ist so, als würde man sich am Morgen nach einem Tanz den leuchtend roten Lack von den Zehennägeln schrubben. Es dauert lange, und am Ende bleibt immer ein bisschen übrig, ein roter Rand, der einen an den Spaß erinnert, den man hatte. Ihr versteht also sicher, dass ich nur langsam lernte. Andererseits hatte ich viel Zeit. Ich habe eure Sprache im Abschiebegefängnis in Essex gelernt, im Südosten des Vereinigten Königreichs. Zwei Jahre haben sie mich dort eingesperrt. Zeit war das Einzige, was ich hatte.

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Literaturangabe:

CLEAVE, CHRIS: Little Bee. Deutsch von Susanne Goga-Klinkenberg. dtv premium. Dtv Verlag, München 2011. 320 S., 14,90 €.

Weblink:

dtv


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