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Eine „Unendliche Geschichte“ für Erwachsene von Selim Özdogan

Der neue Roman „Zwischen zwei Träumen“ - mehr als nur eine Liebesgeschichte

© Die Berliner Literaturkritik, 05.06.09

„Was wäre, wenn man Träume konsumieren könnte?“ Auf dieser Idee basiert der neue Roman von Selim Özdogan, der 1995 mit „Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist“ ein von Kritik und Publikum gefeiertes Werk ablieferte.

In seinem neuen Roman steht wieder ein junger Mann im Mittelpunkt. Man könnte von einem Coming of Age- Roman sprechen, wenn der Text sich nicht gegen jede Schublade sperren würde. Nesta lebt in einer nicht näher benannten Stadt, in einem heruntergekommenen Stadtviertel, das er als einzigartige Partymeile erlebt. Jedes Wochenende finden „bei den drei Häusern“, in denen die Dealer wohnen, Partys statt. Hier werden Drogen konsumiert, Leute kennen gelernt, geknutscht und getanzt—alles, was zu einer guten Party gehört. Nesta wächst in einem behüteten Elternhaus auf. Trotzdem sind seine Eltern manchmal nicht ansprechbar. Sie tropfen, wie die meisten Erwachsenen, Träume. Auf die Frage nach dem Warum sagt seine Mutter: „Weil sie uns verbinden.“

Mit zwölf Jahren steigt Nesta selber ein. Seither wissen er und sein Freund Salomon ganz genau, was sie wollen. Salomon träumt davon, ein berühmter DJ zu werden. Nesta möchte Träumer werden. Träumer, das sind in seiner Welt große Stars. Wer bunt und aufregend träumen kann, dessen Träume werden professionell vermarktet. Für Nesta bedeutet das Tropfen mehr als nur einen Rausch. Aus den Träumen anderer erfährt er, dass er nicht als einziger Ängste hat, sich klein fühlt oder von Erfolg träumt. Er fühlt sich verstanden. Eine solche Wirkung möchte er auch auf andere Leute haben.

Nesta gehört zu den vielen Menschen, an die sich niemand erinnert. Salomon, der zielstrebig ist und die richtigen Leute kennt, schafft schnell den Durchbruch. Nesta jedoch kann nicht auf Kommando träumen. Er kann andere inspirieren – in seiner Gegenwart gelingt Salomon immer ein großartiges Set, können andere träumen, doch sein eigenes Ziel erreicht er nicht. Seine Ziellosigkeit und Unzufriedenheit verstärken sich durch die vielen fremden Träume, die er tropft. Bald kann er eigene und fremde Bilder in seinem Kopf nicht mehr auseinander halten.

Als er Tedeisha kennen lernt und feststellt, dass sie sich in ihren Träumen begegnen können, steht für ihn fest, dass sie die Frau seines Lebens ist. Auch Tedeisha wird zu einem Star: Ihre Träume verkaufen such gut. Nesta bleibt in der Stadt, während seine Freunde zu Weltreisenden werden. Er versinkt bald in Melancholie und einer Abhängigkeit von den Träumen anderer Menschen.

Als eine Katastrophe geschieht, die auch Tedeisha betrifft, beschließt Nesta, sie zu retten. Tausende von Tropfern sind aus einem Traum nicht mehr erwacht. Nesta will die Verantwortlichen finden und Tedeisha wecken. Mit Hilfe seines neuen Freundes Elia, einem Mann, der aus einer anderen Welt zu kommen scheint, macht er sich auf eine lange Reise. Dabei kommen sie an Orte und treffen auf Menschen, die an eine „Unendliche Geschichte“ für Erwachsene erinnern.

Streckenweise ist der Roman zutiefst melancholisch. Die Suche eines immer einsamen Jungen, der trotz der wunderbaren Freunde, die ihm immer wieder zulaufen, weder zu sich selbst noch zu den anderen finden kann, berührt zutiefst. Ihm ist niemals wirklich klar, wonach er eigentlich sucht, und immer wieder fragt er sich, was es sein könnte, das die anderen an ihm finden. Mit seinem Selbstzweifel zerstört er schließlich die große Liebe zu Tedeisha.

Das Buch ist mehr als eine Liebesgeschichte, ein Kriminalroman und eine Fantasy- Erzählung zusammen. Zugleich ist es eine Betrachtung der technisierten Welt des 21. Jahrhunderts, in der die Unterhaltungsindustrie die Alltagsgestaltung übernommen hat. Und nicht zuletzt ist das Buch auch eine Hommage an die Macht der Musik und an den Rausch durchfeierter Nächte. Unbedingt empfehlenswert—eine spannende Lektüre auf hohem Niveau.

Von Claire Horst

Literaturangabe:

ÖZDOGAN, SELIM: Zwischen zwei Träumen. Verlagsgruppe Lübbe, Bergisch Gladbach 2009. 448 S., 18,95 €.

Weblink:

Verlagsgruppe Lübbe


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