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Eine wunderbar trostlose Geschichte

Ruth Johanna Benraths Roman „Rosa Gott, wir loben dich“

Von: MARTIN SPIESS - © Die Berliner Literaturkritik, 06.08.09

Sie sind der Weg der Kinder hinein in die Welt: die Eltern. Im Idealfall überschütten sie ihre Kinder mit Verständnis, Zuneigung und Liebe, und geleiten sie so sicher durch erste Zähne, Masern, aufgeschürfte Knie, unglückliche Lieben und die Pubertät – hinein in die Eigenverantwortlichkeit der Erwachsenenwelt. Wenn man allerdings Pech hat, dann ist man auf sich gestellt oder, schlimmer noch, unter der Knute konservativer, bevormundender Eltern.

Marie hat dieses Pech. Sie hat nicht nur mit einer chronischen Erkrankung ihrer Blase zu kämpfen. Außerdem steht mit ihrem streng-religiösen Vater eine Figur an der Spitze der Familie, unter der es sehr schwer für Marie ist, sich zu entfalten. Noch schlimmer wird es, als ihre Mutter krank wird und Marie Pflichten im Haushalt übernehmen muss. Das alleine klingt natürlich nicht nach Vorhölle, wäre da nicht der attraktive Pfarrerssohn, in den Marie sich verliebt. Er ist in ihrer jugendlichen Verliebtheit sogar so perfekt, dass sie ihm den Spitznamen Jesus verpasst. Aber wie es eben ist in der Liebe, interessiert Jesus sich nicht für Marie, sondern für Almuth. Und auch Maries zweite Liebe, ihre beste Freundin Lisa, scheint mehr Gefallen an Verena zu finden.

Marie sucht also ihren Ausweg in der Literatur. Sie liest viel – am Anfang, geprägt durch ihren Vater, arbeitet sie mit Bibelstellen, als es mit Jesus allerdings nichts wird, kehrt sie Gott den Rücken und beschäftigt sich mit Lyrik und schreibt ihre eigenen Gedichte. In diesen Genuss kommt schließlich auch Ravi, der indische Junge aus Maries Theatergruppe, mit dem es auch tatsächlich zu klappen scheint. Wäre da nicht Maries Vater. Am Ende, verlassen und einsam, öffnet Marie, weil sie keinen anderen Ausgang sieht, die, wie Reiner Kunze sie nennt, „letzte aller Türen“.

Ruth Johanna Benrath hat mit „Rosa Gott, wir loben dich“ eine wunderbare Geschichte geschrieben: Über die Pubertät, Liebe, die Literatur, Religion und Frömmigkeit und nicht zuletzt die Familie. Herausgekommen ist ein bezauberndes Mosaik, die bewegende Geschichte eines erst jungen, später dann langsam erwachsen werdenden Mädchens, das an eben diesen Schwierigkeiten des Lebens – unglückliche Liebe, strenger Vater – zerbricht, weil es am Ende seiner Odyssee nicht weiß, wohin die Segel zu setzen sind. Dass Marie zu beginn noch hoffnungsfroh die Bibel nach Textstellen durchsucht, um sie ihrem Angebeteten Jesus zukommen zu lassen, und dass sie sich später an eigenen Gedichten für Lisa und Ravi versucht – das macht ihren Fall nur umso schlimmer.

Benrath lässt sie fallen – und tut, sit venia verbo, recht daran. Der Leser würde zwar nichts lieber tun, als Marie aufzufangen. Aber so ergibt der Moment am Ende des Buches, in dem alles verloren und kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist, ein umso schärferes Bild von der gefühlten Grausamkeit der Pubertät, von der Strenge frommer Väter, von der Aussichtslosigkeit unerfüllter Liebe. Die Geschichte ist am Ende so wunderbar trostlos, dass der Leser sich versucht sieht, seine Eltern anzurufen. Hallo Mama, hallo Papa. Wollte mich nur mal melden. Hab euch lieb.

Literaturangabe:

BENRATH, RUTH JOHANNA: Rosa Gott, wir loben dich. Roman. Steidl, Göttingen 2009. 176 S., 16 €.

Weblink:

Steidl Verlag

Martin Spieß, diplomierter Kulturwissenschaftler, lebt und arbeitet als freier Autor im Wendland. Er ist einziges Mitglied der Gitarrenpopband VORBAND


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