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Einmal Václav Havel sein

Wenn Bürokraten die Lust an der Kultur fehlt

© Die Berliner Literaturkritik, 29.10.09

Von Armin Baumgartner, Wien

Als der Harlekin auf dem Stoffpferd sich hinter uns Zuschauern hindurchzwängt und einigen von uns, die wir alle rund um den großen Tisch auf der Bühne sitzen, „du bist Kommunist" ins Ohr zischt, wird klar, dass wir dem Schauspiel nicht entkommen würden. Wir befinden uns im Auftaktstück des diesjährigen Mitteleuropäischen Theaterkarussells, eines vom Visegrad-Fonds der EU, vom österreichischen Wissenschaftsministerium und von den einzelnen kulturellen Vertretungen der Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn unterstützten Festivals, das speziell Theaterproduktionen aus den genannten Ländern hier in Wien, im historischen Zentrum der Ost-West-Beziehungen, publik machen will. Fast 20 Jahre nach dem Zerfall des Eisernen Vorhangs wird im Wiener Theater Brett „1989 – Trainingsgerät einer Revolution" des Off-Theaters Feste aus Brünn, ein Stück tschechischer Zeitgeschichte, aufgeführt.

„Tma!" – „Dunkel!" Der Harlekin trägt die Regieanweisung vor. Und das Licht geht aus.

„Die Schauspieler spielen schau, und die Zuschauer schauen zu", gibt er die Regeln vor.

„Světlo!" – Das „Licht" geht wieder an.

Das Spiel geht weiter. Die Rahmenhandlung bildet ein junges Paar und deren Freundin, ein Mitglied der kommunistischen Partei und Reisebüroangestellte in der damaligen ČSSR. Diese versucht, ihre Freunde davon zu überzeugen, in die „Partei" einzutreten, um endlich auch eine angemessene Arbeit zu bekommen und eine gemeinsame Wohnung. Sie sollten sich nicht außerhalb der Gemeinschaft positionieren. Denn die Leute schauten doch schon. Die Leute, das sind heute wir, die Zuschauer. Wir beobachten das Schauspiel vor uns auf dem Tisch, und als die Samtene Revolution ausbricht, verschieben sich die Werte. „Du bist Kommunist!" – Es wird beklemmend.

„Tma!"

Die Haltung der offiziellen kulturellen Institutionen suggeriert also eindeutig Desinteresse.

In der Pause leert sich der Saal. Die offiziellen Vertreter des Sponsors Republik Österreich haben sich längst schon aus dem Staub gemacht. Der zuständige Minister für Wissenschaft, Johannes Hahn, hat sich entschuldigen lassen und eine Vertretung geschickt. Der Bürgermeister von Wien, Michael Häupl, ist ebenso nicht wie angekündigt gekommen, hat seinen Stadtrat für Kultur entsandt, der sich letztendlich auch vertreten ließ – von einer wenig bekannten Landtagsabgeordneten. Die Redaktionen österreichischer Tageszeitungen ignorierten bestenfalls diese Veranstaltung. Laut Nika Brettschneider, Leiterin des Theater Brett, wurde vonseiten der Stadt Wien der Geldhahn just dann zugedreht, als sie ein Konzept zur Förderung mehrsprachigen Theaters aus den postkommunistischen Ländern vorlegte. Die Haltung der offiziellen kulturellen Institutionen suggeriert also eindeutig Desinteresse, nicht nur diesem Theater, sondern mit der Geste des Verschwindens bzw. Fernbleibens auch den zeitgenössischen Denkströmungen und gesellschaftlichen Ist-Zuständen gegenüber als auch der Sichtweise der Menschen in den Ex-Warschauer-Pakt-Staaten auf uns „Westeuropäer" (Verweis auf die szenische Lesung von Andrzej Stasziuks absurdem Drama „Ostmark" im Zuge des Festivals). Damit wird der Vorhang, der physisch eigentlich schon längst abgebaut wurde, in den Köpfen erneut zugezogen. Die Chance, sprachliche Barrieren durch lebendigen kulturellen Kontakt zu überbrücken, die Vielfalt Europas begreiflich zu machen und Ängste abzubauen, wird dadurch nonchalant vergeben.

„Die Schauspieler schauen zu, und die Zuschauer spielen schau! – Světlo!"

Wir Zuseher bekommen Zettel in die Hände gedrückt. Es handelt sich um Kopien von Originalprotokollen der Gespräche zwischen dem Bürgerforum und der kommunistischen Delegation im Zuge der Machtübergabe in der damaligen Tschechoslowakei nach den Novemberereignissen 1989. Jeder hält nun seinen Text in der Hand, bekommt seine Rolle zugewiesen. Wir lesen unsere Stellen, einige schüchtern, andere kehren sogar ein Bühnentalent hervor. Ich übernehme die Rolle des Petr Miller, auf der Seite des Bürgerforums stehend, und werde beinahe eifersüchtig, dass meine Lebensgefährtin die Rolle von Václav Klaus übernehmen darf. Darauf angesprochen, erzählt mir nach der Aufführung Jiří Honzírek, der Regisseur der Truppe, dass in Brünn einmal der richtige Havel ins Theater gekommen sei. Als die Texte verteilt wurden, passierte, was passieren musste: Havel las plötzlich Havel. Der frühere Staatspräsident, Schriftsteller und Bürgerrechtler Václav Havel las in diesem Theaterstück eben jene Sätze laut vor, die er selbst in den Tagen nach der Samtenen Revolution bei der Übergabe der Macht gesprochen hatte. Hier wurde Zeitgeschichte im Theater einmal mehr zu einer absurden Pointe verdichtet.

„Tma!" – „Dunkel!"

Ich wäre gern Václav Havel gewesen oder meinetwegen auch Klaus. Was aber, wenn Hahn Klaus und Häupl Havel gespielt hätten? Die Vertreter des offiziellen Österreichs haben jedenfalls mehr ausgelassen als nur eine Rolle: eine Geste, dass vollmundige Lippenbekenntnisse zu kulturellem Austausch in Europa eben keine sind, und die Chance auf eine Pointe, und sei es nur für den nächsten Wahlkampf. Ich war zumindest, wenn auch nur für einen Moment lang, Petr Miller.

„Světlo?" – Licht an?

Armin Baumgartner arbeitet als Schriftsteller und Korrektor und lebt als Mensch in Wien.


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