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Eisige Welten – Mit dem Segelboot zur Antarktis

Érik Orsenna und Isabelle Autissier berichten vom „Großen Süden“

Von: MONIKA THEES - © Die Berliner Literaturkritik, 03.03.08

 

Ushuaia, Hauptstadt der argentinischen Provinz Tierra del Fuego (dt: Feuerland). Im Januar 2006 sticht die Segelyacht Ada in See. An Bord sind der Romancier und Weltenbummler Érik Orsenna, die Regatta- und Weltumseglerin Isabelle Autissier, zwei erfahrene Hochseesegler, ein Ornithologe und ein Dokumentarfilmer. Zu sechst machen sie sich auf den Weg zum äußersten Süden unseres Planeten. Ihr Ziel ist der Grand Sud: der weiße, eisige und einsame Kontinent, Antarktika.

Sieben Wochen werden sie im Südpolarmeer unterwegs sein, auf einem Segelboot, ausgesetzt den eisigen Stürmen, der grimmigen Kälte und den Unwägbarkeiten eines extremen Klimas. Von der Ada aus werden die zwei Frauen und vier Männer diese Welt aus Eis und Wasser erkunden, ihre Einsamkeit, Schönheit und Einmaligkeit erfahren. Sie werden mit der Angst leben, ankämpfen gegen die Urgewalten der Natur, sich die Enge an Bord teilen und die Verantwortung für das Boot.

„Großer Süden“ (frz. „Salut au Grand Sud“) nennen Érik Orsenna und Isabelle Autissier ihren poetischen Reisebericht. Er enthält Tagebuchskizzen, berichtet von den Stationen ihrer Route, erzählt vom „Volk der Eisberge“, vom nie monotonen Grau und Weiß eines Kontinents der Superlative, von seiner Großartigkeit und seinen Gefährdungen. Ihre „Reise in die Welt der Antarktis“ ist zugleich eine Begegnung mit der Geschichte des sechsten Kontinents und seiner Entdecker. Sie folgt den Spuren der Walfänger wie der Polarreisenden vergangener Tage, erinnert an ihr (Über-)Leben in einer Welt aus Eis und Schnee und trifft auf die heutigen Antarktisfahrer: Wissenschaftler, Touristen und Forschungsreisende.

Beobachtend, respektvoll nähern sich die Segler der zerbrechlichen Wildnis des Südens. Über die Drake-Straße, benannt nach dem unbarmherzigen Kapitän und Günstling Elisabeths I., gelangen sie zur Antarktischen Halbinsel, einst, vor 300 Millionen Jahren, bevölkert von Beuteltieren und Teil des einzigen Kontinents unseres Erde: Pangea. Als die Landmassen auseinanderdrifteten und die Drake-Straße sich öffnete, entstand der antarktische Zirkumpolarstrom, der größte unseres Planeten und bestimmend für unser Erdklima.

Drei Weltmeere, der Atlantik, der Indische Ozean und der Pazifik, führen ihm Wassermassen zu. Der mächtige Strom der südlichen Hemisphäre wälzt sie um, schichtet sie nach Dichte und Salzgehalt und transportiert sie rund um den Globus. Würden seine Wirbel sich abschwächen, würde das globale Rollband gar zum Stillstand kommen, wären die Folgen katastrophal. „Der Südliche Ozean, einst so gefürchtet und oft verflucht, wird zum Gegenstand unserer Fürsorge“, schreibt Orsenna.

Aus Verantwortung und Einsicht unterschrieben 45 Staaten den Antarktisvertrag. 1961 in Kraft getreten, verpflichtet die internationale Übereinkunft die Weltgemeinschaft zur ausschließlich friedlichen Nutzung der Antarktis. Das Umweltprotokoll von 1991 untersagt auf dem weißen Kontinent jegliche Ausbeutung der Bodenschätze – zunächst bis 2041. „Ist also der Kontinent, dem wir uns nähern, trotz seines rauen Klimas ein Höhepunkt der Zivilisation, einer der wenigen Orte auf der Erde, an dem die internationale Gemeinschaft der Menschen sich als vorteilhaft erwiesen hat?“

Die Ausbeutung der Antarktis war real – Robben, Seeelefanten und Wale wurden in blutigen Massakern zu Abertausenden abgeschlachtet. Seit Ende des 18. Jahrhunderts brachten Tran, Walfett und Pelze globale Händler um den Verstand und ein einzigartiges ökologisches System an den Rand des Zusammenbruchs. Deception Island, die karge, dunkle Vulkaninsel der Südlichen Shetlands, beherbergte bis in die 1930er Jahre die südlichste Trankocherei der Welt. Heute sind die Ruinen in „Whalers Bay“ Attraktionen beim Landgang der Kreuzfahrttouristen.

Antarktika heute: Ziel für Zehntausende von betuchten Landgängern und eine zunehmende Schar von Wissenschaftlern: Biologen, Glaziologen, Meteorologen und Klimaforscher. Sie bohren durch die Eisschichten des Kontinents, beobachten die Veränderungen der Ozonschicht, versuchen zu verstehen, welche komplexen Prozesse auf den sechsten Kontinent einwirken und wie er auf das Gesamtsystem unserer Erde rückwirkt. Nicht der raubeinige Abenteurer, auch nicht der unermüdliche Jean-Baptiste Charcot (1867-1936), eher das blonde „Ponytailed girl“, die sportliche Pferdeschwanzträgerin der amerikanischen Palmer-Station, sind für Orsenna der Inbegriff der neuen Forschergeneration.

Natur- und Entdeckergeschichte, ruhige Beobachtung und sinnliche Eindrücke verbinden Érik Orsenna und Isabelle Autissier mit persönlichen Reflexionen: über die hohe Kunst des Segeln, das Wechselspiel von Wolken, Wind und Wellen, die Weite von Himmel und Horizont. Sieben Wochen war die Ada unterwegs, dann erreicht sie Puerto Toro, den südlichsten Hafen der Welt. Zurück liegt ein Leben im Rhythmus der Wachen, ohne echte Nachtruhe, ohne durchgehenden Schlaf, ein Leben in Schwarzweiß, „im Weiß von Schnee und Eis, im Schwarz der Felsen, im Grau der See“, das jäh durchbrochen wird vom strahlenden Himmelsblau.

Vor uns liegt ein großartiges Buch, eine Referenz an die Einmaligkeit und majestätische Größe eines Kontinents, ein „Salut au Grand Sud“.

Literaturangaben:
ORSENNA, ÉRIK / AUTISSIER, ISABELLE: Großer Süden. Eine Reise in die Welt der Antarktis. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Verlag C.H. Beck, München 2008. 236 S. u. 4 Karten, 18,90 €.

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Monika Thees ist Redakteurin dieses Literatur-Magazins


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