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Ende eines Traums

Thomas Pynchons „Natürliche Mängel“

© Die Berliner Literaturkritik, 22.03.11

Thomas Pynchon: Natürliche Mängel. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010. 477 S., 24,95 €.

Roland H. Wiegenstein

Amerikanischen Kritikern glaubte man die Erleichterung anzuspüren, als sie 2009 den neuen Roman von Thomas Pynchon zur Rezension bekamen: Nicht mal fünfhundert Seiten! Und einen Schauplatz, den sie schon kannten. Kalifornien, genauer Las Vegas und Gordita Beach in Los Angeles, den sie als „Manhattan Beach“ ohnehin aus früheren Romanen kannten. Keine ausschweifenden historischen und psychischen Konstruktionen wie in den „Enden der Parabel“ oder „Mason & Dixon“, sondern klare Zeit- und Ortsbestimmungen, ein (beinah) übersichtlicher Cast und eine (fast) plausible Handlung, ein „Strandroman“ eben, wie ein Rezensent schrieb.

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Er spielt Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre, Nixon ist Präsident, Reagan Gouverneur in Sacramento; der Strand ist voller Hippies, die keine Lust haben, in den Vietnamkrieg zu ziehen, und sich lieber mit Kokain, Heroin und vor allem Marihuana volldröhnen, der freien Liebe in den merkwürdigsten Verrenkungen huldigen und Gott in L. A. einen guten Mann sein lassen. Doch das freie Leben, der Traum der Songwriter, ist schon beinahe vorbei. Einer dieser Hippies ist „Doc“ Larry Sportello, ein lausiger kleiner Privatdetektiv, ständig umgeben von Hasch-Schwaden, die ihn abwechselnd mit dem Rauch von Menthol-Zigaretten umnebeln und sein Gedächtnis bereits angegriffen haben (aber keineswegs seine gute Spürnase, die ihn zuverlässig auf einer Fährte weiterführt). Er soll einen plötzlich verschwundenen Immobilienhai finden, der, obzwar Jude, eine kleine Privatarmee von Nazi-Skins beschäftigt und auf die Wahnsinnsidee gekommen ist, Häuser zu bauen, um sie den Armen zu schenken.

Doc findet davon allerdings nur Bautrümmer auf einem elenden Grundstück am ausgefransten Rand von L. A. Und einen Toten, den der Leutnant des Los Angeles Polizei Department ihm gerne unterschöbe. Aber der Cop ist noch mehr an Docs beruflichen Fähigkeiten interessiert, also lässt er ihn wieder frei. Die Jagd geht weiter, führt zu einem merkwürdigen Schiff im Hafen, einem Schoner mit Namen „Golden Fang“, von den man nicht weiß (auch der Leser nicht), ob es sich um das Schmugglerschiff einer chinesischen Triade handelt oder nur um den witzigen Einfall von ein paar Zahnärzten, die damit die Steuern umgehen wollen. Aber wie? Durch Rauschgifthandel: Man bringt das Zeug an Land, fixt mit Pushern leidlich wohlhabende Leute an, um sie dann in einem eigens gegründeten Sanatorium wieder „clean“ zu spritzen.

Das alles muss Doc Sportello herausfinden, eine ehemalige „Braut“ wiederfinden und den Immobilienhai dazu. Was ihm am Ende mit Hilfe seiner Freunde, eines Anwalts vor allem, auch gelingt. Er hat nur nichts davon: Sein Honorar, ein Sack Rauschgift, muss er Verfolgern ausliefern, er selbst zieht, gleichwohl froh, ins neblige Los Angeles. Man sieht nur noch seinen Rücken.

Klar, dass die hard-boiled L.-A.-Schlapphüte der Dashiel Hammett und Spillane da im Hintergrund spuken, und „federals“ des FBI auch. Der Doc rettet sich aus jeder Misslichkeit und wird weiter von seinem Büro LSD („Lokalisierung – Sicherheitscheck – Detektei“) aus kleine Verbrecher und untreue Eheleute observieren, Pot rauchen und mit wechselnden Damen schlafen. Eine Hippie-Existenz eben. Aber der sündige Glanz ist weg, das Glück auch, es geht nur so weiter in einer Welt, in der buchstäblich jeder jeden betrügt und nichts so ist, wie es scheint (Tote stehen wieder auf, blasen Saxophon und kehren zu Weib und Kind zurück, der Hai wird wieder zum „developer“ und im Police Department wird man weiter Akten verschwinden lassen).

Das Buch ist spannend (vor allem, wenn erst einmal das Setting bestimmt ist), „action“ gibt es genug und es ist witzig. Klar, dass man es als Ferienlektüre lesen kann. Aber dabei versäumte man doch einiges. Der heute über siebzigjährige Autor, der seit Jahrzehnten alle narrt, die wissen wollen, wer er ist und wie er aussieht, hat sämtliche Klischees des Genres ausgebeutet und verwandelt sie durch seine Sprache, seine Widerborstigkeit in etwas, das seinen großen Büchern sehr viel ähnlicher sieht als irgendetwas anderem. „Doc hatte in seinem Beruf nur ein, zwei Dinge gelernt, aber dazu gehörte, dass Freundlichkeit ohne Preisschild nur selten vorkam, und wenn doch, dann war sie normalerweise zu kostbar, um akzeptiert werden zu können, denn sie war, wenigstens für Doc, zu leicht zu missbrauchen, was er auch zwangläufig tat.“

Pynchons Doc versucht es gleichwohl immer wieder. Er ist ein Auslaufmodell, das für eine ganze Epoche steht, in der man mit Songs die Welt retten wollte. Dass sie unrettbar ist – auch das kann man am Strand lernen. In „Vineland“, das in den Achtzigerjahren spielt, ist davon nichts übrig geblieben. „Natürliche Mängel“ (das sind solche, die von der Fabrik in ein Auto eingebaut werden und sich erst nach einiger Zeit bei kostspieligen Reparaturen bemerkbar machen) ist nicht nur eine schamlos freche Todesanzeige für eine Zeit, die unwiederbringlich vorbei ist – es ist auch eine böse, scharfsinnige Parodie auf diese Zeit. Der große Romancier, den amerikanische Leser unverdrossen für den Nobelpreis vorschlagen, ist kein bisschen nachgiebig und altersmilde geworden, er hat sich nur ein Buch geleistet, das die bei ihm obligate Lesemühe (wer löst schon alle Anspielungen auf?) durch einen Humor, ein Lesevergnügen vergilt, das man so nicht erwartete.

Nikolaus Stingl hat es übersetzt und versucht, den Stil zu treffen, was besonders heikel ist bei einem Text, der selbst schon in einer Hippiesprache geschrieben ist, die im heutigen Amerika der Broker nur noch im Hinterwald gesprochen wird – wenn überhaupt. Stingls Anleihen bei der Jugendsprache von heute (Pynchons Buch spielt vor dreißig Jahren!) sind geschickt, aber treffen nicht immer. Dazu wechseln die Jargons zu rasch.

Weblink: Rowohlt Verlag


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