Der russische Jungautor Jewgenij Grischkowez erschrieb sich mit dem Theatermonolog „Wie ich einen Hund verspeiste“ als Off-Bühnenautor Kultstatus. Der Roman „Das Hemd“ des 1967 geborenen Wahlbürger Kaliningrads erschien 2004 zuerst in Russland und fand reichlich Leser. Wer meint, nun würde das Plakative und Krude seiner Stücke, in denen er Erfahrungen seiner Militärzeit auf die Bretter wuchtete, repetiert, der sieht sich getäuscht. Angenehm getäuscht und überrascht von der Sprache und von der Milde, mit der Grischkowez erzählt.
Er erzählt von einem Tag in Moskau, von einem Tag im Leben Saschas, eines nicht übermäßig erfolgreichen Architekten. Dieser wacht morgens auf und lamentiert. Denn aus der Provinz fliegt sein bester Freund Maxim ein — zu Saschas Leidwesen. Maxim erwartet von Sascha: um die Häuser ziehen, in die angesagten Nachtclubs gehen, VIPs kennen lernen, flirten, Frauen abschleppen mit ihrer Hemingway-Masche (einfühlsam, aber männlich und erotisch durchaus zielgerichtet). Doch Sascha passt das gar nicht, ist er doch verliebt. Und wie! Durchgehend versichert er das mit vielen Ausrufezeichen. Die Frau aber, für die er so sehr entflammt ist, hat er nur drei-, viermal gesehen und genauso oft gesprochen. Er hat sich für den Abend mit ihr, die eigentlich anderweitig liiert ist, verabredet, wird allerdings in der Bar vergeblich auf sie warten. Davor passiert nichts Außergewöhnliches. Er holt Max am Flughafen ab, sie trennen sich, sie treffen sich wieder, Sascha sorgt auf einer von ihm betreuten Baustelle machiavellistisch für Ordnung, beruhigt seinen Bauleiter, tröstet dessen Frau, geht mit Freund Max auf nächtliche Sauftour, wird auf einer breiten Straße in einen Massenunfall verwickelt, aber dabei kaum verletzt. Und liefert schließlich Max bei dessen Verwandten ab.
Ein Stadtroman also? Nein. Denn Moskau gewinnt kaum Konturen, es könnte ebenso gut London sein oder Paris, die Nouveaux Riches, auf die sich Sascha als Klientel einlassen muss, in Santa Monica leben oder Barcelona. Nur eines ragt heraus und sorgt bei Sascha für Beunruhigung. Den ganzen Tag über wird er von einem mysteriösen Mann in einem schwarzen Mercedes verfolgt, wie sich herausstellt ein bezahlter Beschatter, dessen Auftraggeber sich geduckt hält. Ganz und gar nicht numinos ist dagegen die schwärmerische sentimentale Freundschaft; ist die Nabelschau, die Sascha betreibt; sind seine kriegerischen Tagträume; das Nachsinnen über Talent und dessen Mange; über Beziehungen; die Provinz und die Großstadt.
Im Gegensatz zu den Grotesken Vladimir Sorokins oder den Vampiretüden Viktor Pelewins ist Grischkowez’ Kritik am Putin-Russland leicht, täuschend leicht, weil in einen unterhaltsamen Kokon eingesponnen. Allerdings ist sie nicht weniger beißend. „Der Kreml, schau der Kreml!“, ruft Max an einer Stelle. Was auf Venedikt Erofeevs großartiges Säuferpoem in Prosa „Moskau — Petuški“ verweist, in dem der Protagonist, weil stets betrunken, den Kreml nie zu sehen bekommt.
Literaturangabe:
GRISCHKOWEZ, JEWGENIJ: Das Hemd. Übersetzt aus dem Russischen von Beate Rausch. Ammann Verlag, Zürich 2008. 272 Seiten, 19,90 €.
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