Von Irma Weinreich
Endlich wäre er reich. Fünf Millionen Dollar und mehr sollen die Diamanten wert sein, die zufällig in seine Hände gerieten. Es handelt sich um Diebesgut, das von Holland kommend in der Altstadt von Jerusalem umgeschlagen werden soll und „verloren geht“. Es dauert nicht lange, und die Polizei steht vor der Tür. Aber Mischa Tscherikower, ein vor zehn Jahren nach Israel eingewanderter russischer Jude ist ein Schlitzohr. Er denkt gar nicht daran, den kostbaren Schatz rauszurücken.
Die Suche nach einem sicheren Versteck, so lange bis Gras über die Sache gewachsen ist, gerät in „Mischas roter Diamant“ von Julia Wiener zur Nervenprobe. Mischa webt die Steine in einen der Flickenteppiche, die er in Heimarbeit herstellt. Er frostet sie als Eiswürfel ein. Ausgerechnet das wertvollste Exemplar, der rote Diamant, fällt ihm in der Hektik eines Tages in die Toilette, wo ihn glücklicherweise ein ahnungsloser Klempner entdeckt.
Plötzlich finden sich auch noch andere „Interessenten“ an den Steinen ein, die den zu erwartenden Geldsegen mit dem Glückspilz teilen möchten und ihn unter Druck setzen. Der in Moskau geborenen und heute in Jerusalem lebenden Autorin geht es in ihrem Roman-Erstling „Mischas roter Diamant“ jedoch um mehr als eine Räuber-und-Gendarm-Geschichte. Das Zug um Zug aus den Fugen geratene Leben des Ich-Erzählers spiegelt den ganz alltäglichen Irrsinn im Heiligen Land wider. Autoren wie Amos Oz und Ephraim Kishon mögen Pate gestanden haben.
Mischa, um die 50, ist ein Griesgram, aber kein Trauerkloß, besonders was Fragen betrifft. Sein Mitteilungsbedürfnis und seine Streitlust sind enorm, wenn es um die kleinen und großen Probleme des Lebens geht, seine verschrobenen Sichten mitunter absurd. Im Vergleich zu früher in der russischen Provinz geht es ihm — wegen eines Rückenleidens behindert und arbeitsunfähig — in der neuen Heimat Israel viel besser. In die Politik will er sich lieber nicht einmischen. Nur so viel: Das Palästinenser-Problem existiere allein deshalb, weil man „ein so weit entwickeltes Volk mit einem weniger weit entwickelten Volk zusammen leben lässt.“
Es sind die Wünsche eines bescheidenen Mannes, die Mischa träumt: ein Auto kaufen oder wie die Araber zwei Frauen nehmen, „die alles putzen“. Die Mittel reichten außerdem für seine Operation in Amerika, für die die Familie seit langem Geld spart. Mit den Diamanten aber scheint ein Fluch verbunden. Kurz vor der Silbernen Hochzeit verlässt ihn seine Frau Tatjana ausgerechnet wegen eines streng orthodoxen Juden. Tochter Galina verliebt sich in einen Araber und will ihn auch noch heiraten. Mischa selbst bricht sich ein Bein. Als Tatjana und Galina bei einem Terroranschlag schwer verletzt werden, gibt es für Mischa nur noch eins: Weg mit den Diamanten, die Ursache allen Unglücks.
Literaturangabe:
WIENER, JULIA: Mischas roter Diamant. Berlin Verlag, Berlin 2009. 350 S., 22,00 €.
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