FLAIANO, ENNIO: Allein mit Giorgio, Roman, Wagenbach Verlag, Berlin 2011, 154 S., 9,90 €.
Von Roland H. Wiegenstein
Der italienische Autor Ennio Flaiano (1910-1972), der hierzulande allenfalls Filmfans als Drehbuchautor von Fellinis „Dolce Via“ und Antonionis „La Notte“ ein Begriff ist, war ein wunderbarer, intelligenter Geschichtenerzähler. Die unermüdliche Übersetzerin Ragni Maria Gschwend weist auf ihn immer wieder hin, jetzt auf „Allein mit Giorgio“, einen kurzen, 1993 zum ersten Mal in Deutschland erschienenen Roman, der aus einem Drehbuch entstand, das der Autor selbst inszenieren wollte. Aber jahrelange Verhandlungen mit Produzenten zerschlugen sich, Flaiano gab schließlich auf, „Melampus“ wurde schließlich, sehr verändert, von Marco Ferreri verfilmt.
Melampus – das ist eine Hundename. Und von Hunden handelt der Roman auch: von ihrer „hündischen“ Treue gegenüber dem jeweiligen „Herrchen“. Solch ein verwahrloster Hund wählt sich Giorgio, ein Schriftsteller, der für ein paar Monate nach New York gekommen ist, um dort einen Band mit Erzählungen und ein Drehbuch fertigzustellen, als Herrn. Den fasziniert New York: „Die Stadt ist das Ergebnis eines kolossalen Exodus. Die Historie amüsiert sich damit, die Örtlichkeiten zu versetzen, sie hat Babylon und seine hängenden Gärten hierher gebracht, Ägypten und seine Pyramiden, Griechenland und seine Liebe. Die Priesterinnen des Apoll steigen mittags zum Lunch aus den Büros der Park Avenue und Umgebung herab… Und dann ist da noch etwas, etwas Ungreifbares. Die Stadt ist klar, in keiner anderen Stadt der Welt sind die vier Himmelsrichtungen so eindeutig bestimmbar und den Menschen so nützlich. Man weiß immer, wo man sich befindet.“ Nur Giorgio weiß es nicht so recht. Zwar hat er ein bequemes Appartement gefunden und eine hübsche Amerikanerin, Florence Baker, die ihm als Übersetzerin, Lotsin und Bettgefährtin zur Verfügung steht, gestellt von der Filmgesellschaft, die sich von Giorgio ein Drehbuch erhofft; aber ihre fröhlichen, unproblematischen Dienste helfen ihm nur wenig weiter.
Bis er Liza Baldwin begegnet, die eigentlich nur von ihrer reichen Tante abgeordnet wurde, um für ihre Hündin einen Beschäler zu finden. Das geht schief, aber Liza bleibt bei ihm: sie ist sein wahrer Hund geworden: voller Liebe und Phantasie. Giorgio verliebt sich in sie, lässt Florence sausen (er wird sie später nur noch ab und an besuchen), und zieht mit Liza in die Kleinstadt Chappaqua nördlich von New York, für ein hübsches Liebesnest hat sie gesorgt, denn sie hat Geld. Was dann folgt, ist eine leidenschaftliche Beziehung, die den Italiener dazu bringt, seine Abreise nach Rom immer wieder zu verschieben. Bis er eines Tages von einem Ausflug nach New York zurückkommend, eine völlig verwandelte Liza vorfindet, keine Hetäre mehr, die alles der Liebe wegen tut, sondern eine höfliche junge Dame aus der besten Gesellschaft, die mit ihresgleichen umgehen will, Parties feiert, sein Manuskript zerreißt, keine Melampa mehr (Melampus, der Hund, ist schon länger tot), sondern eine sehr hübsche, sehr wache Gesellschaftszicke. Flöge Giorgio nun stracks nach Hause, es wäre wirklich eine Geschichte, wie sie Marcello Mastroianni als „latin lover“ häufiger gespielt hat. (Er sollte in Flaianos gescheitertem Filmscript wirklich Giorgios Rolle spielen.) Aber der Erzähler lässt die Geschichte kippen, Giorgio kommt auch von der neuen, verwandelten Liza nicht los: er wird sie heiraten. „Ich sitze auf dem Sofa, mit einem Buch in der Hand und dem Glas auf dem Tisch daneben, Liza Baldwin streckt sich auf demselben Sofa oder auf dem Teppich aus. Manchmal, um meine Stimme zu hören, erzähle ich ihr von dem, was ich gerade lese, sie hört mir zu, ein Auge alarmiert geöffnet, aber ohne zu bellen.“ Das Ideal der guten amerikanischen Familie: die Hölle. Denn Liza, die für den Mediteranen etwas Mythisches war, auch ihn ihrer ungehemmten, sündenlosen Sexualtät, ist „normal“ geworden, ein „American housewife“.
Flaiano erzählt diese Geschichte mit vielen reflektierenden Einschüben, auch wunderbaren Satzminiaturen, er kann schreiben – man spürt es in jedem Satz. Umso ärger, das sein leicht komischer Held, der das Meiste in der ersten Person erzählt (gelegentlich fast willkürlich aber kalkuliert unterbrochen von ein paar Absätzen, die von Giorgio in den dritten Person handeln) am Ende seine Manuskripte, die weder die Filmgesellschaft noch sein amerikanischer Verlag haben will, einfach vergisst: zunichte gemacht von Lizas Hundeblick. Dieser ist ein Blick der Herrschaft: am Ende ist Giorgio der Domestizierte, der an der Leine. „So seltsam es mir auch erscheint, man spürt etwas im Zimmer, das an den regelmäßigen Lauf des Glücks erinnert, im Warten auf die Abreise“.
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Flaiano, der in diesem Roman auch etwas von der eigenen Biografie untergebracht hat (er war mehrfach in Amerika), ist wirklich abgereist, anders als sein Giorgio. Das Buch ist das Notizbuch einer Gefahr, schonungslos und genau. Und ein glanzvolles Stück Prosa.
Weblink: Wagenbach Verlag