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Entführung eines Schmetterlings

Ein fantastische Tier-Geschichte

© Die Berliner Literaturkritik, 19.10.10

Der pubertierende Bläuling „Joran Nordwind“ ist wahnsinnig aufgeregt. Nachdem er sich „in der Puppe fast zu Tode gelangweilt“ hat, will sich der frisch geschlüpfte Schmetterlingsjunge nun endlich amüsieren. Und dazu ist heute genau der richtige Tag: „Rendezvous-Tag“! Auf der blühenden Wiese will Joran zusammen mit seinen Freunden erste zarte Bande zu Schmetterlingsmädchen knüpfen.

Um die jungen Damen zu beeindrucken, nimmt es Joran sogar mit einer Dolchwespe auf. Doch diese Mutprobe geht schief. Das gefährliche Insekt entführt Joran hinter den Gläsernen Vorhang, wie die Schmetterlinge den am Rande ihrer Wiese rauschenden Wasserfall nennen. Ein Abenteuer auf Leben und Tod beginnt.

Die in Bayern lebende Autorin Lilli Thal („Mimus“) erliegt in ihrem extrem spannenden und witzigen Roman auf keiner Seite den romantischen Vorstellungen, die wir uns vielleicht von der Welt der zarten Schmetterlingsgeschöpfe machen. Ihr Joran ist ein naseweiser, frecher Bursche, der sich gar nicht vorstellen kann, das ihm einer etwas Böses will.

Doch hinter dem Gläsernen Vorhang hat eine Dynastie riesiger schwarzer Käfer das Steinerne Reich errichtet - eine perfide, brutale Diktatur. Jedem Neuankömmling fressen hungrige Läuse die künftige Bestimmung in die Flügel: als Joran die Prozedur hinter sich hat, ist auf seinen empfindlichen Flügeln „Brosche der Königin“ zu lesen. Darüber lachen sich alle Käfer, denen Joran auf dem Weg in die Gemächer der Herrscherin begegnet, halb kaputt.

Was soll das denn sein, „Brosche der Königin“?, fragt sich Joran. Doch schnell lernt er, dass im Steinernen Reich jeder versklavte Schmetterling seine ganz spezielle Aufgabe hat. In den finsteren Minen bauen zum Beispiel die stärksten Falter das von den Käfern begehrte, die Sinne vernebelnde Lebensmittel Offa ab. Und Joran mit seinen wunderbar schimmernden Flügeln ist nun eben ein Schmuckstück der Königin, und als solches muss er auf dem Panzer der Käferfrau sitzen und am besten den Mund halten.

Die Aussicht, auf diese Art sein künftiges Leben zu verbringen, verschlägt Joran tatsächlich erstmal die Sprache - aber nicht lange. Der neugierige Schmetterlingsjunge findet heraus, dass eine Verschwörung gegen den Herrscher des Reiches im Gange ist. Noch aber ist unklar, auf welcher Seite die immer schlecht gelaunte Königin und ihr inhaftierter Sohn, Prinz Leonil, stehen.

Die von Thal mit vielen Details beschriebenen Käfer, Falter, Schmetterlinge, Wespen, Würmer und Hornissen sind echte Persönlichkeiten. Da ist der gigantisch große Käfer Leonil mit der zarten Seele, der Totenkopfschwärmer, der sein Amt als „Spaßmacher der Königin“ nicht wirklich gut ausfüllt oder der Käfer-Soldat des Königs, der das Gefängnis des Reiches bewachen soll und doch so viel lieber seiner Vorliebe für edle Schmuckstücke frönen würde.

Joran schickt sich indessen an, als Befreier der versklavten Kreaturen hinter dem Gläsernen Vorhang Karriere zu machen. Seine erfrischende Selbstironie sorgt dabei dafür, dass aus diesem fantastischen Abenteuer kein pathetisches Heldenmärchen wird, sondern eine superspannende Geschichte, die man am liebsten in einem Rutsch weglesen will.

Lilli Thal: Joran Nordwind, Gerstenberg Verlag, Hildesheim, ab 11 Jahren, 368 S., 16,95 €.

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Gerstenberg Verlag


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