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Enträtselung der Mona Lisa

„Abschied von der Mona Lisa“ ist der neueste kunsthistorische Streich von Roberto Zapperi

© Die Berliner Literaturkritik, 12.03.10

Von Roland H. Wiegenstein

Am Ende der „Großen Galerie“ im Louvre, die der italienischen Malerei vorbehalten ist, hängt sie unter Panzerglas und wenn es voll ist im Museum, dann werden rotweiße Gatter aufgestellt, um die Tausenden zu leiten, die unbedingt „La Gioconda“, die Mona Lisa sehen wollen, ganz gleich ob sie aus Krasnojarsk, Osaka, Oer-Erkenschwick oder Cleveland/Ohio nach Paris gekommen sind: Leonardos Meisterwerk muss sein, da läuft man schon mal an den anderen ebenso bedeutenden Werken des Malers , der „Madonna in der Felsengrotte“, der „Heiligen Anna Selbdritt“ oder dem „Johannes“ in der Galerie einfach vorbei. Mona Lisa ist Pflicht!

Und wenn dann ein listiger Historiker, Roberto Zapperi, haarklein beweist, dass die rätselhafte Dame gar nicht die Mona Lisa (vulgo: Lisa Gherardino, Frau des florentinischen Kaufmanns Francesco del Giocondo) ist, sondern das Idealporträt einer gewissen Pacifica Brandani aus Urbino, einer der vielen Geliebten von Giuliano de’ Medici, dann ist unter Kunsthistorikern der Teufel los. Hatte nicht der berühmte Vasari das Bild und die darauf Abgebildete identifiziert? Vasaris Aussage, die nicht einmal auf eigenem Augenschein beruht, sondern – wie nicht eben selten in seinen „Vite“ – auf einem Bericht von einem seiner zahlreichen Zuträger, war sakrosankt. Sie anzuzweifeln bringt alle die auf, die Vasari glauben, vor allem wenn der Zweifler sich nicht auf stilkritische Argumente einlässt, sondern mit Dokumenten arbeitet, genau gelesenen und wieder gelesenen Zeugnissen und diese spärlichen, in den verschiedensten Archiven aufbewahrten, womöglich in anderen Zusammenhängen sogar publizierten Texte in eine neue Ordnung bringt und damit auch neu interpretiert.

Zapperi ist ein sehr genauer Leser und ein vorzüglicher, keine Abschweifung scheuender „Erzähler“. Und deshalb wurde aus „Abschied von Mona Lisa“ ein gescheites Buch mit einer so überraschenden wie plausiblen Schlussfolgerung. Es handelt vor allem auch von Giuliano de’ Medici, dem Sohn Lorenzos, der aus Florenz vertrieben, jahrelang in Urbino und Rom lebte, ehe sich mit der Erwählung des Medici-Papstes Leo X. auch sein Schicksal änderte. Dieser Giuliano war kein „wichtiger“ Zeitgenosse, vielmehr ein Lebemann, der den Zeitgenossen vor allem als generöser Verschwender (und Schuldenmacher) und galanter Liebhaber auffällig wurde. Wenn Zapperi recht hat, so unterhielt Giuliano in Urbino auch eine Beziehung zu einer sonst kaum auffällig gewordenen Pacifica Brandani, der ein Kind entsprang, das bei frommen Nonnen abgegeben wurde und den Namen Ippolito erhielt. Sein natürlicher Vater Giuliano, der bei der Geburt des Kleinen schon nach Rom weitergezogen war, erklärte sich stolz zu seinem Vater und ließ ihn nach Rom kommen, wo er eine standesgemäße Erziehung am vatikanischen Hof erhielt. Pacifica selbst war da schon tot. Ihr früherer Liebhaber aber gab, seinem Sohn Ippolito zuliebe, der nach einem Bild seiner Mutter verlangte (inzwischen hatte Giuliano eine Konventions-Ehe mit Filiberta von Savoyen geschlossen, in die der Knabe nicht passte) ein Porträt Pacificas bei Leonardo in Auftrag, das dieser frei nach dem Hörensagen schuf (Das war damals nicht ungewöhnlich).

Aber dies Bild wurde nie fertig, nach dem Tod Giulianos hatte der Auftragnehmer andere Interessen (er hat viele, ja die meisten Aufträge, die er erhielt, nur angefangen, ließ sich von seinen Forschungen immer wieder ablenken), er gab das Bild aber nie her, nahm es mit nach Frankreich, schenkte es zusammen mit zwei anderen Gemälden seinem geliebten (und nicht eben getreuen) Schüler Salaì, der alle drei an König Franz I. von Frankreich verkaufte. Bilder von Leonardo waren selten und teuer. So kam es in den Louvre. Vorher hatte es Kardinal Luigi d’Aragona bei Leonardo im Schloß Clos Lucé bewundert, der Schreiber des hohen Geistlichen, Antonio de Beatis, war dabei gewesen und hatte die Begegnung notiert. Dessen Tagebuch gehört zu Zapperis Belegstücken – unter anderen. Er weist auch nach, dass Francesco del Giocondo nach Rang und Vermögen kaum in der Lage gewesen wäre, einen so berühmten Maler zur Porträtierung seiner geliebten Frau zu veranlassen. Der Autor folgt den Wegen Giulianos, was recht spannend ist und hat auch sonst noch eine Reihe von Argumenten zu bieten, die sehr überzeugend sind. Für Bewunderer des Bildes, die keine „Fachleute“ sind, ist es eigentlich egal, ob darauf wirklich eine Frau abgebildet ist, die es gegeben hat oder eine, deren Bild Leonardo erfunden hat. An Rang und Ruhm ändert das nichts. Gleichwohl ist Zapperis Buch mit seinem detektivischen Elan und seiner Fähigkeit, eine alternative Geschichte aus der Renaissance zu konstruieren, eine sehr witzige Lektüre. Und vermutlich hat er sogar recht. Überraschend ist es in jedem Fall, wie viel man herausfinden kann, wenn man ein so engagierter Historiker und Kombinierer ist.

 

Literaturangabe:

ZAPPERI, ROBERTO: Abschied von der Mona Lisa. Das berühmteste Bild der Welt wird enträtselt. C.H. Beck Verlag, München 2010. 160 S., 19,80 €.

Weblink:

C.H. Beck Verlag

 


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