Mehr als ratlos hat frau das schmale Inselbändchen gelesen, wenn auch der letzte Absatz das Erfreulichste am ganzen Werk ist. „Nun gut. Jeder Mensch besitzt sein ihm zugefallenes Leben. So auch Hünej. Sie hatte doch selbst in der kalten, stinkigen Höhle unbedingt leben, selbst als Gefangene und Weib des Gijik sich mit rohem Fleisch und sonstigem Fraß unbedingt am Leben erhalten wollen. Von diesem Wunsch war sie auch jetzt erfüllt. Weil sie einmal vom Schicksal so derb gepackt worden und dem Untergang so nahe gewesen war, wusste sie das Dasein in der lichten Welt mehr zu schätzen und sich daran heftiger zu erfreuen als die meisten Menschen mit ihren ungeschärften Fühlern angesichts eines ungestörten und nur dumpf wahrgenommenen Lebens ringsherum.“ (S. 94)
Das kommt ein wenig daher wie die Erziehungsmethoden unserer Eltern. Um sich ihrem Bangemachen zu entziehen, sangen wir „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ Und alle schrien: „Niemand“. Dabei war in der Vorstellung nicht, wie viele Gutmenschen heutzutage meinen, der schwarzhäutige Afrikaner gemeint, den kannten wir Kinder auf dem Lande ja gar nicht, es war schon so eine Vorstellung, wie Galsan Tschinag uns den Gijik nahe bringt, ein Ungeheuer mit letztlich menschlichem Antlitz, behaart und wild gestikulierend.
Auch die Chinesen ängstigen, ja ekeln sich vor dem yuan-ren, dem affenähnlichen, behaarten Menschen. So ein Wesen hat nun bei Galsan Tschinag ein frühreifes Mädchen aus wohlhabendem Hause entführt und will sich mit ihm verlustigen. Jedenfalls werden wir auf diese Fährte gesetzt. Das jedoch dauert eine Weile. Wir werden, wenn man/frau so will, auf die Folter der Wollust gespannt. Als es dann soweit ist, ist sein Ding zu groß. Sie hat wochenlang Schmerzen, wir werden deshalb zum Glück vor weiteren Sexszenen bewahrt, bis auf die Tatsache, dass der Gijik, weil es ihm kommt, vor den Augen des Menschenkinds eine aus seinem eigenen Riesenstamm nimmt, die es wollüstig genießt.
Ob es dies ist, weshalb der Verlag das seltsame Anschreiben von Galsan Tschinag an den Lektor in Auszügen vorneweg stellt, wir werden es nicht erfahren. „Eigentlich bin ich ein großer Dummkopf und ein kleiner Verbrecher, da ich Geschichten dieser Art in die Öffentlichkeit trage, ohne mir vorher über mögliche Folgen Rechenschaft abzulegen. Aber ich bin ein Schreiber, der von Geld und Ruhm lebt…“ (Begleitbrief) Was er an der Geschichte so schockierend findet, teilt er uns nicht mit. Denn über den eigentlich wenig sensationellen Geschlechtsakt zwischen Menschenweib und Menschenwild hinaus, ist wenig in dem Buch, das die Annahme Galsan Tschinags, „die Geschichte könnte zu einem kleinen Renner werden“ (Begleitbrief), rechtfertigt.
Ein Autor von seinem Weltrang hat solche Plattitüden nicht nötig. Vielleicht haben Autor und Verlag an Amstetten gedacht oder an andere Männerfantasien, die uns noch schockieren könnten. Jedenfalls wird aus der anfänglichen Ratlosigkeit durch das vorangesetzte Zitat Frustration, dass ein Thema aus der mongolischen Sagenwelt so billig abgehandelt wird. Denn Galsan Tschinag kann es ja, den Leser in seine Steppenwelt entführen, und stellenweise gelingt es ihm auch in dieser Erzählung. Zum Beispiel wenn die beiden Ungleichen sich beäugen und das Monster aus der Sicht des Mädchens menschliche Züge erhält.
Galsan Tschinag, 1944 im Hohen Altai als jüngster Sohn einer tuwinischen Schamanin geboren, studierte zu DDR-Zeiten in Leipzig Germanistik und schreibt in deutscher Sprache. Mit einem Teil des Geldes, das seine Bücher einbringen, hat er seinem 4000 Menschen umfassenden tuwinischen Volk Land zurückgekauft. Viele Bücher handeln von diesen Menschen, denen er schamanischer Heiler und Stammesoberhaupt ist. In preisgekrönten Büchern wie „Die Karawane“, „Das Ende des Liedes“ und viele andere hat er uns sein Volk, seine Sitten und Sagen nahegebracht. Die vorliegende „Erzählung aus dem Altai“ zählt nicht zu seinen gelungenen Erzählungen.
Literaturangaben:
TSCHINAG, GALSAN: Das Menschenwild. Eine Erzählung aus dem Altai. Insel Verlag, Frankfurt am Main, Leipzig 2008. 93 S., 11,80 €.
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Literaturangaben:
Insel Verlag