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Tsunami, Taifune, Erdbeben

Japan im zwölften Jahrhundert. aus der Sicht des Mönchs Kamo no Chomei

© Die Berliner Literaturkritik, 21.06.11

BERLIN (BLK) – Kamo no Chomeis „Aufzeichnungen aus meiner Hütte“ ist im Juni 2011 im Insel Verlag erschienen. Nicola Liscutin hat es aus dem Japanischen übersetzt und das Nachwort geschrieben.

Klappentext: Erdbeben, Tsunami, Taifune – immer wieder wird Japan von Naturgewalten überfallen, die in ihrer ungeheuerlichen zerstörerischen Macht ganze Landstriche, Ortschaften und ihre Einwohner vernichten. In ihrer Berichterstattung bemühen ausländische Journalisten gerne Kamo no Chomeis Worte von der Flüchtigkeit des menschlichen Lebens und der menschlichen Behausungen, um ihr Entsetzen, insbesondere aber einen „typisch japanischen“ Stoizismus angesichts dieser Katastrophen zu beschreiben. Die Schreckensbilder, die uns in den vergangenen Wochen aus Japan erreichten, scheinen in der Tat den Chomei über achthundert Jahre früher skizzierten Naturkatastrophen verblüffend ähnlich. Die „Aufzeichnungen aus meiner Hütte“ sind damals wie heute gleichermaßen aktuell.

Kamo no Chomei (1155-1216) war ein Mönch in Japan, der sich nach den Erfahrungen von Elend, Tod und Vergänglichkeit im Alter von fünfzig Jahren von Hof und Amt zurückzog, um ein Schüler Buddhas zu werden.

Leseprobe:

 ©Insel©

1

Unaufhörlich strömt der Fluß dahin, gleichwohl ist sein Wasser nie dasselbe. Schaumblasen tanzen an seichten Stellen, vergehen und bilden sich wieder – von großer Dauer sind sie allemal nicht. Gleichermaßen verhält es sich mit den Menschen und ihren Behausungen.

  Miteinander wetteifernd, recken sich in unserer prachtvollen Hauptstadt die Dächer der Häuser von Hoch und Niedrig, als könnten sie Generationen überdauern. Allein, es gibt nur wenige Häuser aus alter Zeit. Ein Haus mag im vergangenen Jahr niedergebrannt sein und schon in diesem neu erbaut werden. Ebenso kann ein herrschaftliches Anwesen von gestern bereits morgen zur Hütte verkommen. Den Bewohnern ergeht es kaum anders. Wie einst drängen sich die Menschen in den Straßen der Hauptstadt, doch wie wenigen begegnen wir, die wir in unserer Jugend kannten. Am Morgen gestorben, am Abend geboren, das ist das Geschick des Menschen – gleich den Schaumblasen auf dem Wasser. Und dieser Mensch, der geboren wird und stirbt, wer weiß schon, woher er kommt, wohin er geht? Ferner, wer vermag zu erklären, wofür der Mensch sich so plagt, eine Behausung zu schaffen, wenn sie doch letztlich vergänglich ist, und wie diese ihm solch eine Beglückung sein kann? Dabei scheint es, als ob Herr und Haus darüber stritten, wer von beiden denn wohl zuerst vergehe – sie sind wahrlich keinen Deut verschieden vom morgendlichen Tau auf den Blten der Ackerwinde. Der Tau mag herabfallen und die Blüten fortbestehen, jedoch nur, um in der Morgensonne zu welken. Oder der Tautropfen mag sich auf der vergehenden Blüte halten, gleichwohl wird er den Abend nicht erreichen.

2

In den etwa vierzig Jahren, seit ich begann, den Grund der Dinge zu erkennen, habe ich so manche Merkwürdigkeit gesehen.

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  Es geschah, wenn ich mich recht entsinne, im dritten Jahr der Ära Angen (1175), am 28. Tag des vierten Monats. Ein Sturm kam auf und beruhigte sich auch gen Abend nicht. Dann, in der Stunde des Hundes (20 Uhr), brach im Südosten der Hauptstadt ein Feuer aus, das der Wind hinüber bis an die nordwestlichen Grenzen der Stadt blies. Am Ende erfaßte das Feuer gar das Suzaku-Tor und die Daikyoku-Halle des Palastes, die Akademie und das Kaiserliche Büro für Innere Angelegenheiten. In einer einzigen Nacht legte das Feuer alles in Asche.

  Es hieß, das Feuer sei in den Unterkünften der Bugaku-Tänzer an der Higuchi-Tominokoji-Straße ausgebrochen. Die Windböen bliesen die Flammen hierhin und dorthin, so daß sich das Feuer wie ein geöffneter Fächer ausbreitete. Die abgelegeneren Häuser umschloß dichter Rauch, während die näher gelegenen in Flammen aufgingen und dem Erdboden gleichgemacht wurden. Wolken schwarzer Asche verhängten den Himmel, in denen sich glutrot die Flammen spiegelten. Der Wind schien mit den Flammen zu spielen, ergriff sie und fegte sie [1]ber ein, zwei Viertel hinweg. Wer hätte in diesem Inferno noch besonnen bleiben können? Die einen brachen, vom Rauch erstickt, zusammen, andere fielen den Flammen zum Opfer und starben auf der Stelle. Anderen wiederum gelang es zwar, ihre Haut zu retten, aber sie vermochten nicht, ein einziges ihrer Besitztümer dem Feuer zu entreißen. So verwandelten sich ungeahnte Kostbarkeiten zu Asche. Wie groß mag wohl der Schaden gewesen sein? Allein sechzehn Anwesen des Hochadels brannten nieder, und niemand vermag die Zahl der Häuser zu schützen, die darüber hinaus vernichtet wurden. Insgesamt wurde mehr als ein Drittel der Hauptstadt zerstört, Tausende von Männern und Frauen kamen ums Leben und eine unbestimmte Anzahl von Pferden und Ochsen.

  Unter allen fruchtlosen Bemühungen des Menschen ist wahrlich keine so töricht wie jene, sich zu plagen und ein Vermögen aufzuwenden, um an einem so gefährlichen Ort wie der Hauptstadt ein Haus zu erbauen.

Dann, im vierten Monat des vierten Jahres der Ära Jisho (1180), gab es einen Wirbelsturm, der von dem Viertel um Naka-no-mikado und Kyogoku gen Rokujo ¯ fuhr. über drei, vier Viertel wütete der Sturm, und von den Häusern, die er erfaßte, blieb nicht ein einziges, gleich ob groß oder klein, unversehrt. Einige fielen flach in sich zusammen, von anderen blieben nur Pfosten und Tragbalken stehen. Von den Toren riß der Orkan die Dächer mit sich, um sie vier oder fünf Viertel weiter abzusetzen. Bei anderen Anwesen wiederum fegte er die Zäune hinweg, so dass sie eins mit dem ihrer Nachbarn wurden. Allerlei Gegenstände wurden in den Himmel gehoben, Dachschindeln und Bruchstücke von Holz tanzten Herbstblättern gleich in der Luft. Dick wie Rauch waren die Staubschwaden, so daß man die Hand vor Augen nicht mehr erkennen konnte. Wie furchtbarer Donner heulte der Sturm, man vermochte sein eigenes Wort nicht mehr zu verstehen. Der Wind des Karma, der in der Hölle braust, konnte, so wollte mir scheinen, nicht verheerender und angsteinflößender sein. Doch nicht genug damit, daß viele Häuser zerstört worden waren, unzählige Menschen wurden bei dem Versuch, sie instand zu setzen, verletzt oder verkrüppelt. Als der Orkan schließlich nach Südwesten abdrehte, brachte er außerhalb der Hauptstadt noch vielen Menschen mehr Elend und Verdruß.

  Ein Wirbelsturm ist an sich nichts Ungewöhnliches, dieser jedoch war ohne jeden Zweifel von einer anderen Art, und so fragte sich ein jeder bange, ob er nicht eine Warnung der Götter gewesen sei.

©Insel©

Literaturangabe:

CHOMEI, KAMO NO: Aufzeichnungen aus meiner Hütte. Aus dem Japanischen und mit einem Nachwort von Nicola Liscutin. Insel Verlag, Berlin 2011. 99 S., 16,90 €.

Weblink:

Insel

 


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