Von Sophia-Caroline Kosel
LEIPZIG (BLK) - Unfreiwillig wurde er vor mehr als 60 Jahren Schriftsteller. Und unfreiwillig kann er nun seinen Beruf nicht mehr richtig ausüben. „Einen Roman überblickt man nicht mehr in diesem Alter, da sind einem Grenzen gesetzt“, sagt der Leipziger Autor Erich Loest, der am Donnerstag (24.2.) 85 Jahre wird. Nur an seinem Tagebuch schreibe er noch weiter. Zwischen seinem ersten und seinem letzten Roman – „Jungen, die übrigblieben“ (1950) und „Löwenstadt“ (2009) - liegen dutzende Werke, in denen Loest mit einem scharfen Blick auf den Alltag die politischen Verhältnisse in Deutschland beschreibt.
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In seinen Romanen und Erzählungen setzte er sich immer wieder mit der deutschen Teilung und der Wiedervereinigung auseinander – und gilt daher als Chronist deutsch-deutscher Geschichte. Diese hat Loest wie nur wenige andere Autoren auf wechselhafte Weise am eigenen Leib erfahren: Er war junger Soldat im Zweiten Weltkrieg und NSDAP-Mitglied, trat erst mit voller Überzeugung in die SED ein und später desillusioniert wieder aus. Er verbüßte sieben Jahre wegen „konterrevolutionärer Gruppenbildung“ im gefürchteten Stasi-Knast in Bautzen - für ihn „gemordete Zeit“, wie er in einer Autobiographie schrieb.
Loest wurde im sächsischen Mittweida geboren. 1946 absolvierte der Sohn eines Eisenwarenhändlers ein Volontariat bei der „Leipziger Volkszeitung“. Nur kurz durfte er danach dort als Kreisredakteur arbeiten. Nach einer vernichtenden Kritik seines Roman-Debüts verlor er die Stelle - und wurde freier Schriftsteller. Allein zwischen 1965 und 1975 verfasste er elf Romane und 30 Erzählungen, teils unter Pseudonym, da er in der DDR noch verfemt war. Die Stasi hatte ihn lange im Visier.
Aus Protest gegen die Zensur seines Romans „Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene“ (1978) trat der Autor 1979 aus dem Schriftstellerverband der DDR aus. Weil seine oppositionelle Haltung große Repressalien auslöste, siedelte er 1981 in die Bundesrepublik über. Nach dem Fall der Mauer kehrte Loest schnell in seine Wahlheimat Leipzig zurück - und mischt sich seither in der Stadt immer wieder in aktuelle Diskussionen ein. So protestierte der vom Kommunismus schwer enttäuschte Leipziger Ehrenbürger gegen Kunstwerke des realistischen Sozialismus im öffentlichen Raum.
In vergangener Zeit ist es ruhiger geworden um den engagierten Leipziger. Weil er gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, viel zu schreiben oder zu lesen, unternimmt Loest Spaziergänge und freut sich, bald wieder öfter auf dem Balkon sitzen zu können. Er liest auch - aber nur wenig, weil sein Augenlicht dafür zu schwach geworden ist. Gegenwartsliteratur mag er nicht besonders. „Das, was ich vor 50 Jahren mit Vergnügen gelesen habe, lese ich nochmal. Mit neuer Literatur bin ich nicht sehr bewandert“, erzählt er. „Jetzt nehme ich mir mal die Tagebücher von Thomas Mann vor - das ist unerschöpflich.“
Für „sein“ Leipzig wünscht er sich aktuell nur eines: Dass es sich mal wieder Gedanken um einen neuen Ehrenbürger macht - und am besten eine Frau würdigt. „Leipzig hat etwa 80 Ehrenbürger, aber darunter ist noch keine einzige Frau“, sagt der verwitwete Vater von drei erwachsenen Kindern.