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Erneuerer der Architektur

Ein Band über den Architekten und Universalkünstler Joseph Maria Olbrich

© Die Berliner Literaturkritik, 07.09.10

Von Klaus Hammer

Wien hatte am Ende des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund eines Vielvölkerstaates auch in der Architektur eine Vielsprachigkeit entwickelt, die bis heute für das kulturelle Leben der Stadt charakteristisch geblieben ist. Otto Wagner, „Testamentvollstrecker“ Gottfried Sempers und letzter Architekt der Epoche der Wiener Ringstraße, gelang es, den Wiener Klassizismus in die Secession (Jugendstil) und den Zweck-Rationalismus zu überführen. Obwohl er nicht zu den Schülern Wagners an der Wiener Akademie – alle zentrale Figuren der österreichischen wie tschechischen Architektur – gehörte, wurde Joseph Maria Olbrich stark von ihm beeinflusst, der innerhalb von nur 10 Jahren (1898-1908, seinem Todesjahr) einen bedeutenden Beitrag zur Erneuerung der Architektur  leisten sollte. Entsprechend den Jugendstil-Vorstellungen von der Umwelt als Gesamtkunstwerk befasste sich Olbrich gleichzeitig mit einer neuen Baukultur, der Stadtplanung, Gartengestaltung, der dekorativen Ausstattung von Innenräumen, mit Entwürfen für Gläser, Plakate, Buchschmuck bis hin zur Gestaltung von Gebrauchsgegenständen für den Haushalt. Obwohl er zunächst Mitarbeiter im Architektenbüro Otto Wagners war, verfolgte er gleichzeitig eigene Projekte und gründete 1897 mit Josef Hoffmann, Koloman Moser, Gustav Klimt und anderen die Künstlervereinigung der Wiener Secession. Mit dem Secessionsgebäude, das mit seinem kubischen Äußeren und der kugelartigen, vergoldeten Blätterkuppel viel Aufsehen erregte, legte er den Grundstein für seine steile Architektenkarriere und schrieb internationale Architekturgeschichte. Im Anschluss an dessen Eröffnung sprach Olbrich vom Anspruch einer künstlerischen Gestaltung aller Lebensbereiche und vom Wunsch, dies im großen Maßstab verwirklichen zu wollen. Er ging 1899 nach Darmstadt, wo er im Auftrag des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe ins Leben rief und leitete. Er entwarf das Ernst-Ludwig-Haus (1899-1901) als Ateliergebäude und die Wohnhäuser für die 7 Koloniemitglieder – nur Peter Behrens entwarf sein Haus selbst. Entsprechend den Wohnbedürfnissen baute Olbrich von innen nach außen. Neben externen Aufträgen war es dann die Dreihäusergruppe von 1904, die den Übergang zu einer plastischeren Auffassung vom Baukörper markiert und eine ornamenthafte Gesamtform an die Stelle von Ornamenten setzte. Das Stallgebäude für das Haus Glückert (1905) auf der Darmstädter Mathildenhöhe ist aus zwei gegensätzlichen Bauteilen zusammengesetzt und wirkt wie eine Vorwegnahme des Kubismus. Dem Hochzeitsturm als weit sichtbares Zeichen für die Künstlerkolonie – als Dominante und Stadtkrone – und das ihm angeschlossene Ausstellungsgebäude scheint wieder eine Rückbesinnung auf den Klassizismus zu sein, doch Olbrich setzte seine Bauten stets in Beziehung zu den Formerfahrungen und funktionalen Anforderungen seiner Zeit. Das letzte große Werk war das Kaufhaus Tietz in Düsseldorf, das von der Gliederung her A. Messels Kaufhaus Wertheim in Berlin weiterführt. Der gesamte Nachlass an Zeichnungen, Entwürfen und Plänen wird in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin aufbewahrt.

Ein Standardwerk wird der voluminöse Band „Joseph Maria Olbrich – Architekt und Gestalter der frühen Moderne“ im Klappentext genannt – und das ist er auch wirklich. Eigentlich als Katalog zu der  Retrospektive mit gleichem Titel auf der Mathildenhöhe in Darmstadt (Februar – Mai 2010) und  im Leopold-Museum Wien (18. Juni – 27. September 2010) gedacht, ist er weit mehr als ein Begleitbuch zur Ausstellung geworden: Ein eigenständiger, fundamentaler Sammelband, in dem mehr als 20 Autoren (Kunsthistoriker, Architekten und Historiker) den Universalkünstler Olbrich würdigen und sein Gesamtwerk in den unterschiedlichsten Facetten vorstellen und beleuchten. Ein Referenz- und Standardwerk über Olbrich und seine Zeit, ein Meilenstein der Architekturforschung, so kann dieses Kompendium mit Rudolf Leopold, dem Direktor des Leopold-Museums, mit vollem Recht bezeichnet werden.

Ralf Beil, der Direktor des Instituts Mathildenhöhe und Mitherausgeber des Bandes, beschäftigt sich mit Olbrichs Vorstellung vom Bauwerk als Maschine, das vor allem Funktionalität und konstruktive Präzision aufweisen solle  und die dann als „Fortschrittsmetapher“ schlechthin ihren „Siegeszug kreuz und quer durch die Künste der Moderne antreten wird“.  Was Olbrich auf dem Weg der ebenso dynamischen wie pathetischen Moderne auf der Mathildenhöhe eindrucksvoll demonstrierte, suchte später Le Corbusier im indischen Chandigarh umzusetzen. Leben, Werk und Rezeption des Architekten und Gestalters der frühen Moderne untersucht Regina Stephan, Kuratorin der Darmstädter Ausstellung und Mitherausgeberin des Bandes. Den Wurzeln Olbrichs im idyllischen Milieu der Kleinstadt, seinem Geburtsort Troppau (Opava), spürt Jindrich Vybiral nach, während Joseph Imorde sich mit den italienischen Reisestudien des damals 26jährigen Stipendiaten Olbrich beschäftigt.

Gabriele Kaiser widmet sich Olbrichs „Lehrjahren im Historismus“, denn im Stilpluralismus des späten Historismus fand sein Schaffen eine wesentliche Grundlage. Das Thema Olbrich und die Wiener Secession behandelt Franz Smola, es kulminiert in den Entwürfen und im Bau des Sezessionsgebäudes, aber Olbrich schuf auch für die ersten beiden Jahrgänge der Kunstzeitschrift „Ver Sacrum“  insgesamt 50 Entwürfe. Weitere Beiträge gelten den Bauten und Projekten für Wohn- und Geschäftshäuser in Olbrichs Wiener Zeit (Markus Kristan und Eva B. Ottilinger), den Beziehungen Olbrichs zum Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein (Werner Durth), den Bauten und Gestaltungen für die Darmstädter Künstlerkolonie (Bärbel Herbig), Olbrichs Arbeiten zum Theater sowie zum Fest- und Musikleben auf der Mathildenhöhe (Ursula Quecke), seinen Projekten zur Siedlungsplanung (Sandra Wagner-Conzelmann) – etwa für die Villenstadt Cobenzl-Krapfenwaldl bei Wien oder die Gartenvorstadt am Hohlen Weg für Darmstadt –, den Gartengestaltungen (Christiane Geelhaar) – Olbrich hat in seiner kurzen Lebenszeit mehr als 60 Projekte bearbeitet –, Olbrichs Arbeiten für die Tochter des Großherzogs, Prinzessin Elisabeth, vor allem dem Spielhaus, in dem das Mädchen spielend das Leben lernen sollte (Katharina Siegmann), Olbrichs Beiträgen zu den internationalen Ausstellungen in Paris, Turin und St. Louis 1900-1904 (Paul Sigel) und seinen Publikationen, in denen er seine Ideen anhand von Bildern vorgestellt und sein Werk dokumentiert hat (Annette Windisch). Regina Stephan hat sich zudem dem Gestalter Olbrich, dem Produktgestalter und Kunstgewerbler, zugewandt, dessen kunstgewerblichen Arbeiten, Möbelentwürfen, Raumausstattungen, überhaupt seiner Vorstellung von „Raumkunst“, seinen Bemühungen, die Kluft zwischen Handwerk und Industrie zu überwinden. Als Impresario und Impulsgeber spielte Olbrich, obwohl bereits ein dreiviertel Jahr nach der ersten Werkbund-Versammlung verstorben, eine wesentliche Rolle bei der Gründung des Deutschen Werkbundes (darüber schreibt Christina Wagner).

1907 war Olbrich nach Düsseldorf übergesiedelt, pendelte aber dauerhaft zwischen verschiedenen Orten. Schon 1906 und dann vor allem 1907 hatte er eine wachsende Zahl von Aufträgen in Köln und Düsseldorf erhalten. Diese erfolgreichen Schaffensjahre zwischen Darmstadt und Düsseldorf zeichnet Peter Engel nach. Das rheinische „Spätwerk“ Olbrichs zwischen Manierismus und Klassik analysiert Ulrich Maximilian Schumann als ein „virtuoses Spiel mit Regeln und Dissonanzen“. Und das Warenhaus Tietz in Düsseldorf als „Lichtdom und Kaufpalast“ untersucht Steffen Krämer im Vergleich mit den Berliner Warenhäusern Wertheim (von Alfred Messel) und Tietz (von Bernhard Sehring). In welcher Weise Albin Müller 1908 das Erbe Olbrichs in der Künstlerkolonie Darmstadt fortgesetzt hat, schildert Babette Gräfe: Dem „begnadeten Sonnenkind“ , so Müller, folge nun er, den eine gewisse Schwere und Melancholie umgab, die es ihm als Nachfolger Olbrichs nicht leicht machte. Welche Anregungen hat Olbrich den Architekten Ernst May, einem der Pioniere des Neuen Bauens, und den ungleich bekannteren Erich Mendelssohn, Bruno Taut und Le Corbusier vermittelt, fragt schließlich Werner Durth. Eine ausführliche Zeittafel und Bibliographie beschließen den Band, der überreich versehen ist mit Texten, Studien  und Tafeln des Reformkünstlers und Architekten Olbrich – mit  Entwürfen, Skizzen, Zeichnungen, Illustrationen, perspektivischen Ansichten, Grundrissen und Aufrissen, Schnitten und Situationsplänen, Plakaten und historischen Postkarten sowie Fotografien seiner Bauten, Raumgestaltungen und Arbeiten.

Es ist an der Zeit, sich mit Olbrich neu auseinanderzusetzen, stellt Regina Stephan in ihrem Beitrag fest. Dieser Band könnte, ja er sollte Impulsgeber für eine neue Debatte über das Werk dieses in Vergessenheit geratenen Mannes sein, der der Moderne ein Versprechen und Vermächtnis gegeben hat.

Literaturangabe:

BEIL, RALF/ STEPHAN, REGINA: Joseph Maria Olbrich 1867-1908.  Architekt und Gestalter der frühen Moderne. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2010. 450 farbige Abbildungen. 456 S., 49,80 €.

Weblink:

Hatje Cabtz Verlag

 

 


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