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„Erwürgte Abendröte / Stürzender Zeit“ – Schwermütig-archaische Lyrik

Der Lyriker Peter Huchel im Porträt

Von: DENNIS WIPPICH - © Die Berliner Literaturkritik, 03.04.08

 

BERLIN (BLK) – Joseph Brodsky (1940-1996), Literaturnobelpreisträger des Jahres 1987, bezeichnete ihn als bedeutendsten deutschen Dichter der Nachkriegszeit neben Gottfried Benn: den Lyriker Peter Huchel (1903-1981). Huchels Lyrik spiegelt die Natur seiner märkischen Heimat, die Erfahrungen des Krieges und die Bitterkeit der Isolation. Mit ihrer schlichten Sprache, ihrer knappen Diktion und ihrer zeitlosen Bildlichkeit beeinflusste sie wesentlich die jüngere deutsche Lyrikergeneration.

Geboren wurde Hellmut Huchel am 3. April 1903 in Berlin. Er war der Sohn eines Beamten. Wegen der Krankheit seiner Mutter wuchs er auf dem Bauernhof seines Großvaters auf. Dieser lag in der Mark Brandenburg, im Dorf Alt-Langerwisch. Das Gymnasium besuchte er später in Potsdam. Den Vornamen Peter nahm er erst 1930 an.

Von 1923 bis 1926 studierte er Literaturwissenschaft und Philosophie in Berlin, Freiburg und Wien. Ab 1927 unternahm er ausgedehnte Reisen durch Frankreich, den Balkan und die Türkei. In Frankreich freundete er sich mit dem Philosophen Ernst Bloch an, mit dem er ab 1930 – wieder zurück in Berlin – zusammenarbeitete. Er war Mitarbeiter der damals bekannten Literaturzeitschrift „Die literarische Welt“, die Willy Haas 1925 gemeinsam mit Ernst Rowohlt gegründet hatte.

Darin und in anderen Zeitschriften („Das Innere Reich“, „Die Kolonne“) veröffentlichte er seine ersten Gedichte. Die frühe Lyrik Huchels ist stark von der märkischen Landschaft geprägt. Schon in den „Theorien des deutschen Faschismus“ (1930) hat der Philosoph und Literaturkritiker Walter Benjamin den Zusammenhang von aggressiv fortschreitendem Faschismus und regressiv vor dem Faschismus ins Naturgefühl sich rettender literarischer Subjektivität und Innerlichkeit aufgedeckt. Gerade auch Huchels Naturlyrik zeigt, dass es sich bei der „Inneren Emigration“ zum größten Teil um eine „Emigration nach Innen“ gehandelt hat. Die demonstrative Abwendung der Schriftsteller von der politischen Wirklichkeit ist keine Reaktionsweise, die auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 beschränkt ist.

Zwischen 1940 und 1945 war Huchel Soldat im Zweiten Weltkrieg. Danach geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Noch 1945 kehrte er nach Berlin zurück, wo er erst Lektor, dann Chefdramaturg und 1946 Sendeleiter des Ostberliner Rundfunks wurde. Dies blieb er bis 1948. Anschließend war er bis 1962 Chefredakteur der von Johannes R. Becher und Paul Wiegler gegründeten Zeitschrift „Sinn und Form“ der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. Walter Jens nannte das Journal „das geheime Journal der Nation“.

Seine weltoffene Haltung und sein Internationalismus – eben kein „Bitterfelder Weg“ – brachte ihm von Seiten der SED den Vorwurf „bürgerlicher Distanziertheit“ ein und führte 1962 zum angeblich freiwilligen Abschied aus dem Amt des Chefredakteurs von „Sinn und Form“. Neun weitere Jahre war er – erneut – zur unfreiwilligen inneren Emigration verdammt. Erst 1971 ließ man ihn in die Bundesrepublik übersiedeln.

Als er sich darüber hinaus 1963 weigerte, den ihm verliehenen Westberliner Fontane-Preis abzulehnen, wurde er in der DDR weitgehend isoliert und über Jahre hinaus Opfer kleinlicher Schikanen. Einer Berufung auf den Lehrstuhl für Poetik an der Universität Frankfurt am Main konnte er 1965 nicht folgen, auch andere Einladungen nicht annehmen. Huchels von radikal skeptischer Geschichtsphilosophie geprägte Gedichte einer „nature morte“, in denen Chiffren der Erstarrung, der Vereisung und der Versteinerung dominieren, waren der dem Fortschrittswahn blind ergebenen DDR unerträglich.

Peter Huchels bedeutende späte Lyrik („Chausseen“, 1963; „Gezählte Tage“, 1972) kann nur in der Bundesrepublik erscheinen. In „Chausseen“ heißt es: „Erwürgte Abendröte / Stürzender Zeit! / Chausseen. Chausseen. / Kreuzwege der Flucht. / Wagenspuren über den Acker, / Der mit Augen / Erschlagener Pferde / Den brennenden Himmel sah.“ Hier finden sich geheimnisvoll leuchtende oder sich verdunkelnde Naturzeichen, Vexierbilder, die das lyrische Ich behutsam entziffert. Da ist eine widerborstige Rauheit der Diktion, die aus seltenen Naturvokabeln poetische Intensität gewinnt. Außerdem ist da ein emphatischer Ernst des Sprechens, der weiß, dass im Gedicht jedes Wort ein Menetekel sein kann.

Nach der Ausreise lebte er einige Zeit in der Villa Massimo in Rom und unternahm Reisen in mehrere westeuropäische Länder, bevor er sich schließlich im südbadischen Staufen niederließ. Seiner schwermütig-archaischen Lyrik in geschliffener, zeitlos schöner poetischer Sprache blieb Huchel bis an sein Lebensende treu.

Mit Preisen wurde er in den 1970er Jahren überhäuft: Huchel erhielt den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (1971), den Österreichischen Staatspreis für Literatur (1972), den Andreas-Gryphius-Preis (1974) und den Eichendorff-Preis (1979). Die Verleihung des Europalia-Preises (1977) nutzte er zu einem Lob der Bundesrepublik Deutschland („der freieste Staat, den es überhaupt auf der Welt gibt“), während er die DDR einen „Schrotthaufen“ nannte.

Am 30. April 1981 stirbt Peter Huchel in Staufen. Zu seinen Ehren hat das Land Baden-Württemberg einen Peter-Huchel-Preis gestiftet, der erstmals 1984 verliehen wurde. Zu den bisherigen Preisträgern gehören unter anderen Ernst Jandl (1990), Durs Grünbein (1995), der viel zu früh verstorbene Thomas Kling (1997), Wolfgang Hilbig (2002) und zuletzt Ulf Stolterfoht.

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Dennis Wippich arbeitet als freier Reporter und Rezensent in Berlin für dieses Literatur-Magazin


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