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„Erzähl doch mal von früher“

Loki Schmidt im Gespräch mit Reinhold Beckmann

© Die Berliner Literaturkritik, 29.01.09

 

HAMBURG (BLK) – Im November 2008 ist im Hoffmann und Campe Verlag das Buch „Erzähl doch mal von früher – Loki Schmidt im Gespräch mit Reinhold Beckmann“ erschienen.

Klappentext: „Geblieben ist eine große Dankbarkeit für all das, was ich gesehen habe.“ – Loki Schmidt begibt sich auf eine sehr persönliche Reise durch ihr Jahrhundert. Was so entsteht, ist das facettenreiche Lebensbild einer selbstbewussten, engagierten Frau, die heute vielen ein Vorbild ist. Illustriert wird das Buch durch zahlreiche, zum Teil erstmals veröffentlichte Fotos. Für Loki Schmidt war es schon als Kind das Schönste, wenn ihre Eltern oder Großeltern „von früher“ erzählten. Heute ist es ihr ein Anliegen, die nächsten Generationen an ihren Erfahrungen und Einsichten teilhaben zu lassen. Dafür lässt sie Lebensabschnitte Revue passieren, die ihr Schicksal, aber auch das unseres Landes entscheidend geprägt haben. Ob es der Alltag in den zwanziger Jahren ist, Hitlers Einzug in Hamburg, Giscard d’Estaing an der Hausbar oder das Nachdenken über die letzten Dinge – anschaulich und pointiert erzählt sie aus ihrem bewegten Leben.

Loki Schmidt, geboren 1919, lebt mit ihrem Mann, Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, in Hamburg. Die ehemalige Lehrerin machte sich unter anderem durch ihr Engagement für den Pflanzen- und Naturschutz einen Namen, wofür sie 1999 den Professorentitel und 2000 die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg erhielt. (jud/ang)

Leseprobe:

© Hoffmann und Campe ©

„Honni, Honni, aus dem Land von Karbonni“

Eine Kindheit in Hamburg

3. März 1919, Hannelore Glaser kommt in einem Hamburger Arbeiterviertel in Hammerbrook in der Schleusenstraße zur Welt. Was war das für ein Haus, und wer wohnte alles dort?

Es war ein großes Etagenhaus. Ich vermute einmal, 1880 gebaut, mit drei oder vier Etagen. Meine Großeltern, meine Eltern und die zwei jüngeren Schwestern meiner Mutter mit ihren Männern wohnten da. In einem kleinen Zimmer wohnte Thora. Sie hieß eigentlich Viktoria Griese und war die Tochter einer Nachbarin meiner Großeltern, einer ledigen Mutter – das hat es immer gegeben. Sie lebte in einer winzigen Wohnung mit ihrer kleinen Tochter. Tagsüber ging sie arbeiten. Dann bekam sie Tuberkolose und starb. Daraufhin haben meine Großeltern Thora zu sich genommen: „Eine mehr, darauf kommt es auch nicht an.“ Sonst hätte sie sofort ins Waisenhaus gemusst.

Von dem Tag an gehörte Thora fest zur Familie?

Ja, meine Großeltern, meine Mutter und meine Tanten waren ihre Familie. Nebenbei erwähnt: Von Vater Staat gab es keine finanzielle Hilfe, wenn man ein Kind aufnahm.

Was war mit Haustieren?

Ein Hund war im Haus: Wulli war ein kleiner Dackel. Er kniff mich als Dreijährige immer in die Waden. Dann kletterte ich auf einen kleinen Stuhl und rief Großmuddel, die mich retten musste.

Die Lage der Schleusenstraße in Hammerbrook war ja nicht ganz ungefährlich.

Ich weiß, dass meine Großmutter mit mir, wenn Hochwasser eintrat, die Straße entlangging. Es gab eine kleine Anhöhe, von der aus man in den Hafen gucken konnte und wo eine richtige Kanone stand. Mit der wurde »Hochwasser geschossen«.

Sie sind ein paar Jahre später umgezogen.

Das erinnere ich noch ganz genau – auf eine Schott’sche Karre, eigentlich nur eine Plattform mit vier Rädern und einer Deichsel, wurden die Möbel geladen, die meinen Eltern gehörten. Obendrauf kam das Bettzeug, und darauf wurde mein Bruder gesetzt. Der war ja erst drei Jahre alt. Er bekam eine Papierlaterne in die Hand mit der Weisung: Die musst du immer hochhalten, damit die Leute und die Pferdewagen auf der Straße uns auch sehen. Das Ganze fand natürlich in der Dunkelheit statt, nach der Arbeit. Drei Freunde haben geholfen. Die Wohnung kann ich noch genau beschreiben, auch die Möbel. Die Wohnung hatte höchstens 28 Quadratmeter.

Was bot die Wohnung sonst noch?

Strom gab es nicht, sondern Gas. Draußen am Haus befand sich an einem geschwungenen schmiedeeisernen Arm eine Gaslaterne. In der Wohnung gab es in der Küche und im Wohnzimmer eine Gaslampe. Die Blumensträuße, die mein Vater häufiger mitbrachte, waren nach zwei Tagen verwelkt wegen des Gases. Dass die Gasbeleuchtung auch für uns Menschen ungesund war, spielte keine Rolle, schließlich war die Wohnung billig. Mein Vater bekam in der Woche 27 Mark ausbezahlt, die Miete betrug 27 Mark im Monat.

Es blieben dann noch drei mal 27 Mark übrig für das Leben.

Meine Mutter ging häufig zum Nähen, und Thora kam, um die drei Kinder zu versorgen.

Gab’s ein WC?

Nein. Diese Wohnung – für heutige Verhältnisse unvorstellbar – hatte einen Ausguss mit einem Wasserhahn neben der Wohnungstür. Das war der einzige Wasserhahn in der Wohnung. Ein WC gab es nicht, sondern einen Austritt im Treppenhaus ohne Fenster. Ich vermute, dass da ein Goldeimer war.

Ein Goldeimer und so eine Art Plumpsklo?

Ja, ein Plumpsklo. Wir Kinder hatten vor diesem Klo im Treppenhaus eine scheußliche Angst. Deswegen stand in unserem Schlafzimmer außer den drei Betten und dem Kleiderschrank noch ein Stuhl in der Mitte, unter dem sich ein Töpfchen befand.

Um bloß nicht wieder zum Klo gehen zu müssen. Was war das Scheußliche an diesem Plumpsklo, das den Kindern so viel Angst gemacht hat?

Die Dunkelheit. Da war ja kein Fenster. Und man musste ins Treppenhaus.

Da war einem das Töpfchen doch näher.

Kalt war die Wohnung aber auch. In der Küche befand sich ein großer Herd, wie sie früher üblich waren. Darauf stand ein zweiflammiger Gasherd. Manchmal, im Winter, wurde aber auch der große Herd in Betrieb genommen. Das Kinderschlafzimmer war ungeheizt. Das Kabuff, in dem meine Eltern schliefen, natürlich auch. Nur das Wohnzimmer war noch zu heizen. Dort war ein Kohleofen.

Wie hat Mutter die Wäsche gewaschen?

Mit einem großen Topf auf dem Kohleherd und natürlich mit einer Ruffel.

Was ist eine Ruffel?

Eine Holzunterlage, ungefähr 80 Zentimeter, das heißt ein dickes Holzbrett, auf dem ein wellenförmiges Blech befestigt war.

Darauf konnte man schrubben.

Ja. Jeden Sonnabend wurde auch auf dem Kohleofen ein großer Topf mit Wasser erwärmt. Dann kam die Badewanne, eine Zinkwanne.

Eine mobile Zinkwanne. Die wurde in die Küche gestellt.

Die stand in der Küche unter einem Arbeitstisch. Sitzen konnte man in der Küche nicht. Einen Stuhl gab es nicht, sondern nur einen Arbeitstisch. Darunter stand die Wanne für die sonnabendlichen Badevergnügungen. Natürlich alle Kinder im selben

Wasser.

Gab es eine klare Reihenfolge, wer zuerst in die Wanne durfte? Wie war das bei den Glasers?

Meine Eltern haben immer erst uns drei Kinder gebadet. Obwohl sie alles andere als prüde waren, haben sie selbst nie mit in der Wanne gebadet. Sie sind zwar manchmal ohne was in der Wohnung umhergelaufen, sodass mir der Unterschied zwischen Mann und Frau selbstverständlich und vertraut war. Auch wir Kinder sind häufi g nackt herumgelaufen. Aber gründlich gewaschen haben sich meine Eltern nie vor den Augen ihrer Kinder.

Waren Sie als Älteste berufen, als Erste ins Badewasser steigen zu können?

Das weiß ich nicht mehr. Ich meine, dass wir zu zweit in der Wanne gesessen haben. Wenn man die Knie hochzog, konnte einer auf der einen und der andere auf der anderen Seite sitzen. Außerdem macht es viel mehr Spaß. Nach dem Badevergnügen gab es am Sonntagmorgen frische Unterwäsche.

© Hoffmann und Campe ©

Literaturangaben:
SCHMIDT, LOKI: „Erzähl doch mal von früher“. Loki Schmidt im Gespräch mit Reinhold Beckmann. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008. 272 S., gebunden mit Fotos. 19,95 €.

Verlag


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