Von Thomas Strünkelnberg
Nicht nur im Fernsehen sind die ältesten meist die besten Witze, auch die Geschichte macht da keine Ausnahme. So trägt Amerika den Namen eines Diebes und Lügners, des Florentiner Kaufmanns Amerigo Vespucci, und Kolumbus glaubte noch auf dem Sterbebett, den Fernen Osten erreicht zu haben. Ironie der Geschichte. Das alles ist nicht neu, auch nicht, dass die Wikinger 500 Jahre vor Kolumbus erste Siedlungen in Amerika gründeten. Auf den Spuren der ersten Europäer über den Kontinent zu reisen und anhand intensiver Recherche und skurriler Begegnungen mit den Gründungsmythen Amerikas aufzuräumen, das hat jedoch etwas Erfrischendes. Genau das tat der amerikanische Autor und Journalist Tony Horwitz für sein Buch „Es war nicht Kolumbus - Die wahren Entdecker der Neuen Welt“.
Wobei der Witz nicht darin besteht, Kolumbus die Entdeckung Amerikas abzusprechen. Kolumbus habe Großes geleistet, räumt Pulitzerpreisträger Horwitz ein. „Kolumbus begriff jedoch nie die Unermesslichkeit dessen, was er geleistet hat.“ Doch worin Horwitz seine eigentliche Aufgabe sieht, ist darüber aufzuklären, was in den langen Jahren zwischen Kolumbus’ Entdeckung Mittelamerikas im Jahr 1492 und dem offiziellen Beginn der Geschichtsschreibung der USA im Jahr 1620 mit der Landung der Pilgerväter im heutigen Plymouth geschah. Es war eine Menge, doch schöne Geschichten waren kaum darunter.
Es geht vielmehr um die Taten heute fast unbekannter spanischer Entdecker und Conquistadores, die sich großenteils als brutale Massenmörder und als besessen von der Gier nach Gold entpuppten. Die Opfer waren eigentlich immer die Indianer - schon die Wikinger töteten bei der ersten Begegnung mehrere Eingeborene.
Und wie vielen US-Amerikanern ist heute wohl klar, dass ihre Heimat um ein Haar spanisch oder auch französisch geworden wäre. Vor allem Spanier drangen weit auf das Gebiet der heutigen USA vor, findet Horwitz heraus. Ponce de León, der 1513 Florida entdeckte, de Vaca, de Soto oder Coronado sind die Namen der frühen Conquistadores, die neben ihrem Blutdurst vor allem eines auszeichnet - sie waren Jahrzehnte vor den englischen Pilgervätern mit ihrer „Mayflower“ im Land. Auch französische Siedlungsversuche gab es. Und nicht Plymouth, sondern St. Augustine in Florida war die erste dauerhafte von Europäern errichtete Siedlung in den Vereinigten Staaten.
Es ist keine Geschichtswissenschaft, die Horwitz auf seiner dreijährigen, tausende von Meilen langen Tour durch die USA betreibt - obwohl er intensiv recherchierte und spannende historische Ereignisse ausgrub. Die er dann so bunt und farbig schildert, dass man meint, das Blut spritzen zu sehen, aber auch die unendliche Mühe und Qual der Entdecker auf ihrem Weg durch unwegsames Land sich vorzustellen vermag. Entscheidend aber sind die Gespräche mit den Menschen, die er auf seiner langen Fahrt trifft und zum Reden bringt.
So erfährt er, dass auch die lange Zeit die Wunden der Indianer nicht ganz hat heilen können. Bemerkenswert ist auch, wie humorvoll Horwitz immer wieder die eigentlich blutige Geschichte erzählt. Das heiße und feuchte Klima in der Dominikanischen Republik erinnert ihn an Hühnerbrühe, spöttisch beschreibt er das verkitschte Bild vieler Amerikaner von der Landung der Pilgerväter. Und mit einem fast genießerischen Sarkasmus räumt er mit dem barbiehaften Disney-Märchen über Pocahontas und John Smith auf. Wie? Indem er ganz einfach erzählt, wie das Leben der legendären Indianerprinzessin, die den englischen Kolonisten und „kleinen bärtigen Prahlhans“ Smith vor dem Tod gerettet haben soll, wohl wirklich verlief.
Literaturangaben:
HORWITZ, TONY: Es war nicht Kolumbus. Die wahren Entdecker der Neuen Welt. marebuchverlag, Hamburg 2008. 500 S., 29,90 €.
Verlag