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Euramerikaner auf den Straßen des Exils

Abdourahman A. Waberis „In den Vereinigten Staaten von Afrika“

© Die Berliner Literaturkritik, 26.11.08

 

Von Claire Horst

In unseren Köpfen sind die Rollen klar verteilt. Begriffe wie „Slum“, „Armut“, „Flüchtlingswelle“ lösen bei den meisten Europäern ähnliche Assoziationen aus: Die Menschen, die wir uns dazu vorstellen, sind schwarz. Die Armut gehört scheinbar nach Afrika, ebenso wie mangelnde Bildung, Kriege zwischen verfeindeten Religions- oder Sprachgruppen. Wirtschaftlich, technisch und politisch am weitesten fortgeschritten sind Europa, Nordamerika und Australien – das scheint fast ein Naturgesetz zu sein. Dass es so ist und warum, ist keiner Überlegung wert – eine andere Aufteilung der Welt ist kaum vorstellbar.

Abdourahman A. Waberi, laut Verlagsauskunft „Nationalschriftsteller Dschibutis“ und Literaturprofessor in Boston, zerstört unser klares und unanfechtbares Weltbild mit seinem Roman „In den Vereinigten Staaten von Afrika“ schon im ersten Absatz: „Da sitzt er, ausgelaugt. Schweigend. Eine flackernde Kerze erleuchtet nur spärlich die Kammer des Zimmermanns im Gastarbeiterheim. Der Euramerikaner aus einer Schweizer Ethnie spricht einen deutschen Dialekt und gibt vor, im Zeitalter von Jet und Web vor Gewalt und Hunger geflohen zu sein.“

Das erste Kapitel soll Bericht erstatten „über die Ursprünge unseres Wohlstandes und die Gründe dafür, dass die Euramerikaner auf die Straßen des Exils getrieben werden.“ In wohlwollend-herablassender Sprache wird das Elend der europäischen Dritten Welt beschrieben, wird die Überheblichkeit der Afrikaner angeprangert, deren politische Überlegenheit historisch begründet ist. Zunächst scheint die ständige Umkehrung von Fakten banal – wenn etwa Millionen von hungernden Japanern nur dank der Lebensmittellieferungen aus Nordkorea und dem Tschad überleben –, man fragt sich beim Lesen aber immer häufiger: Warum ist das eigentlich nicht Realität? Warum ist es andersherum? „Das geschichtsträchtige Land Eritrea, seit Jahrhunderten von einem Geschlecht sittenstrenger Moslems regiert, die stark von der Unerbittlichkeit der Muriden aus Senegal geprägt sind, gelangte zu seiner Blüte, als sich Businessdenken mit den Werten der parlamentarischen Demokratie verband.“ Dass afrikanische Länder teilweise eine längere Geschichte haben als die europäischen, wird vielen europäischen Lesern wie ein Märchen vorkommen.

Waberi erzählt parallel die Geschichten des Schweizer Zimmermanns, von seinem primitiven Elend und seinem verzweifelten Wunsch, in Afrika Fuß fassen zu können, und der jungen Maya, die, von afrikanischen Eltern adoptiert, nach dem Tod ihrer Ziehmutter nach der biologischen Mutter sucht und in den Slums von Paris landet. Diese Charaktere geraten streckenweise zu Platzhaltern. Dem Autor geht es nicht um eine Identifikation mit seinen Figuren, die daher etwas blass bleiben. Sie dienen nur als Aufhänger für seine Fabel einer anderen, nicht besseren Welt.

Stellvertretend für die Haltung der Afrikaner zum Rest der Welt steht das Verhalten von Maya, die in Frankreich Abscheu und Mitleid zugleich verspürt. Mit Medikamenten gegen alle möglichen Krankheiten und mit Geschenken für die armen weißen Kinder ausgerüstet, bereist sie das dunkle Europa. Nach ihrer Abreise wird sie durch Spendengelder mit ihrem Geburtsland in Verbindung bleiben – Sicherheitsabstand inklusive.

Das Verwirrspiel mit Elementen unserer Kulturgeschichte besteht aus viel mehr als nur der Umkehrung bekannter Fakten. Sei es „das Geplauder des emeritierten Professors Garba Hintingawbe“, der natürlich vor dem Zusammenprall der Kulturen warnt, „die Lumpensammler von Vancouver und die Zuchthäusler von Melbourne“, die überglücklich sind, „den Reis aus der Kalahari und die sahelischen Rindfleischburger von McDioula in sich hineinzustopfen“, Selbstverständlichkeiten lösen sich plötzlich auf. Zudem wird dem europäischen Leser seine Ignoranz gegenüber der afrikanischen (Geistes-)Geschichte zunehmend bewusst. Sind Namen wie die des Nobelpreisträgers Wole Soyinka und der Sängerin Miriam Makeba noch weithin bekannt, so kennen die meisten Europäer wohl weder Kankan Musa, den Herrscher des antiken Reiches von Mali, noch den äthiopischen Maler Skunder Baghossian, dessen Werke im New Yorker Museum of Modern Art hängen. Die zahlreichen Bezüge, Wortspiele und Querverweise kann der durchschnittlich gebildete Leser kaum sämtlich entschlüsseln.

Etwas bleibt nach der Lektüre definitiv: Ehrfurcht und Neugier auf einen Kontinent, über den es viel mehr zu erfahren gibt als unsere Medien zeigen. Der Übersetzerin hoch anzurechnen ist das Glossar, in dem viele der historischen Figuren erläutert werden. Der Roman macht vor allem Lust auf eine Beschäftigung mit der Geschichte des afrikanischen Kontinents und ermutigt dazu, festgefahrene Sichtweisen in Frage zu stellen.

Literaturangaben:
WABERI, ABDOURAHMAN A.: In den Vereinigten Staaten von Afrika. Übersetzt aus dem Französischen und mit einem Nachwort versehen von Katja Meintel. Edition Nautilus, Hamburg 2008. 160 S., 16 €.

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