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„Der verschwundene Journalist“

Propaganda im Dienste des Nationalsozialismus

© Die Berliner Literaturkritik, 08.08.10

Eva Züchner (Foto ©: Jonathan Silbermann)
Literaturangabe:
Eva Züchner: Der verschwundene Journalist.
Eine deutsche Geschichte.
Berlin Verlag, Berlin 2010. 288 S., 24 €.

Von Roland H. Wiegenstein

Wie nähert man sich einem Vater, an den man sich, 1942 geboren, als damals gerade Dreijährige wohl nicht anders erinnern kann, als durch Berichte der Mutter und der Großeltern, wenn dieser Vater im Herbst 1945 verschwunden ist, abgeholt von der sowjetischen Geheimpolizei GPU? Mag sein, dass man einen der wenigen Briefe an die kleine Tochter wieder einmal liest, die erhalten sind, liebevolle Briefe, wie sie so viele Väter geschrieben haben. Gibt man sich mit den wenigen Nachrichten aus der Familie zufrieden, die davon berichten, dass dieser Vater, geboren 1913, ein Journalist  (im NS-Jargon: Schriftleiter) gewesen sei, der in der kurzen Zeit zwischen dem Kriegsende im Mai 1945 und seiner Verhaftung im September desselben Jahres versucht hatte, sich eine neue Existenz in seinem Beruf zu schaffen, ehe er „verschwand“?

Keine noch so aufwendige Recherche brachte Klarheit darüber, wo er geblieben sein könnte. „Der verschwundene Journalist“ hat Eva Züchner ihr Buch über ihn, ihren Vater genannt, ein Buch über Gerhart Weise, der es in der Nazizeit rasch zu einiger Bekanntheit gebracht und anfangs ganz harmlos über Theater, Clowns und Operette im „Dresdner Anzeiger“ geschrieben hatte, ehe er nach dem Besuch der „Reichspresseschule“ als Reporter im Berliner „12 Uhr Blatt“ den führenden Presseleuten auffiel, dann im „Angriff“ schreiben durfte, einem Skandalblatt, das offiziell der „Deutschen Arbeitfront“ gehörte. Der weiter Karriere machte und in den Stab von Hans Schwarz van Berk geriet, dessen Dienststelle, direkt Goebbels unterstellt, Artikel in deutschen Zeitungen platzieren sollte, die den „Gegner“, also die Westmächte, „desinformieren“ sollten. Sie erschienen im „Angriff“ und später auch in Goebbels Edel-Postille „Das Reich“. Darin pflegte der Reichspropaganda-Minister den Leitartikel zu schreiben und das Blatt bemühte sich – ohne Abweichung von der NS-Linie – wenigstens um einen halbwegs guten journalistischen Stil. Der Mitarbeiterstab bestand aus vielen Journalisten, die schon in der „Systempresse“ vor 1933, das heißt in den Zeitungen, die diesen Namen verdienten, aufgetaucht waren.

Weise, das zeigen die Zitate, schrieb in einem flüssigen Stil und seine in jedem Fall linientreuen Artikel waren nicht so strohig, wie das die Regel war. Zumal, als er dann in die Filmabteilung versetzt wurde und Drehbücher zensierte (und auch selbst schrieb), schaffte er es, während des ganzen Kriegs von Goebbels Ministerium immer wieder u.k. („unabkömmlich“) gestellt zu werden. Seine wenigen kurzen Versetzungen zur Wehrmacht brachten ihn kaum mit der Front in Berührung, allenfalls berichtete er von ihr.

Die Germanistin und Museums-Archivarin Züchner, die erst im Alter von sechzig Jahren begonnen hat, ihrem Vater nachzuspüren, muss wohl lange der nahe liegenden Idee angehangen haben, das, was der Vater getan und geschrieben habe, sei so arg nicht gewesen – allenfalls ein vernünftiger Opportunismus als  Überlebensstrategie eines intelligenten Journalisten, der keine Absicht hatte, für den „Führer“ zu fallen. Clever ist Weise gewiss gewesen. Kritische Bemerkungen gibt es in seinen zahlreichen Artikeln, meist über Filme und Filmpolitik nachweislich nicht, ob er sie persönlich im Freundeskreis hat fallen lassen, bleibt ungewiss.

Was Eva Züchner im Verlauf ihrer Recherchen (mit Schrecken) erfährt, zeigt aber nicht bloß einen, der sich durchhangelt (und es dabei schafft, nicht der Partei beizutreten, dafür das ziemlich hohe Honorar und andere Annehmlichkeiten seiner Stellung zu genießen), sondern auch die ideologische Verblendung Weises: er marschierte stramm jeder Anordnung nach und wurde so ein zuverlässiger NS-Propagandist, der sogar in Goebbels Tagebüchern lobend erwähnt wird. Und nicht nur das, als die Gestapo seinen alten Freund Ohser (bekannt als der beliebte Karikaturist E.O.Plauen, der die wunderbaren Serien von „Vater und Sohn“ erfunden hat) wegen Defätismus verhaftete, verriet er diesen mit einem Gutachten, das zur Hinrichtung Ohsers beigetragen hätte, wenn sich dieser dem Fallbeil nicht durch Selbstmord im Gefängnis entzogen hätte.

Züchner muss im Verlauf ihrer Arbeit von dem aus der Ferne geliebten Vater Abschied nehmen: er war wirklich ein „Nazi“ und er hat menschlich versagt. Für die Autorin muss dies ein schmerzhafter Prozess gewesen sein, dem sie sich gestellt hat. Nur in den zahlreichen Abschweifungen, in denen kenntnisreich von Weises Kollegen und der Atmosphäre in der Presse- und Filmpolitik der Nazis die Rede ist, darunter die beiden letzten, hirnrissig Durchhalte-Parolen verkündenden Filmen „Kolberg“ und „Das Leben geht weiter“, spürt man ihre Bitterkeit jenen gegenüber, die weit schlimmer verstrickt waren und die nach einer kurzen „Anstands“-Frist, taten, als sei nichts gewesen und in der Bundesrepublik dann noch einmal Karriere machten. Der Durchhaltefilm „Das Leben geht weiter“ wurde übrigens – leicht entbräunt – in den fünfziger Jahren von der ostdeutschen DEFA fertig stellt und uraufgeführt (und kam einige Zeit später auch in westdeutsche Kinos).

Eva Züchner hat in ihrem Buch nicht nur so trauernd wie entschieden ehrlich von ihrem quasi ungekannten Vater Abschied genommen, sie hat ein Kapitel deutscher Verblendung, das weit über das Kriegsende hinausreichte, mit ihrer unermüdlichen Recherche an einem Einzelfall dargestellt. Je weniger Zeitzeugen es gibt, desto wichtiger sind solche um Wahrheit bemühte Untersuchungen derer, die sich als persönlich Betroffene der Aufgabe nicht entziehen, davon zu berichten, was war. Züchners nüchterne und kluge Weise, das „Material“ zum Sprechen zu bringen, ist beispielhaft. Es sollte die Nachlebenden etwas lehren.

Literaturangabe:

ZÜCHNER, EVA: Der verschwundene Journalist. Eine deutsche Geschichte. Berlin Verlag, Berlin 2010. 288 S., 24 €.

Weblink:

Berlin Verlag


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