JENA (BLK) – Der Erziehungsroman „Der kleine Hobbit“ von John R. R. Tolkien birgt nach Ansicht des Philologen Thomas Honegger noch reichlich Potenzial für die Forschung. „Er war das Sprungbrett für den Fantasy-Roman ‚Der Herr der Ringe’, stand aber bislang stets in dessen Schatten“, sagte der Professor für englische Mediävistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Die Geschichte, die Tolkien für seine Kinder schrieb, ist von diesem Freitag (25. April 2008) an Thema einer internationalen Tolkien-Konferenz mit rund 50 Wissenschaftlern in Jena.
„Der Hobbit ist eigentlich ein moderner Mensch. Er raucht Pfeife, hat Taschentücher und führt ein beschauliches Leben“, erklärte Honegger. Der Leser identifiziere sich mit ihm, weil der Hobbit kein Überheld sei, sondern ihn dort abhole, wo er stehe. „Wir sind alle Stubenhocker. Drachen sind zwar interessant, aber lieber nur in Büchern.“ Erst als der Zauberer Gandalf und 13 Zwerge den Hobbit als Meisterdieb engagieren, wagt Bilbo widerwillig ein Abenteuer. Er soll einen Drachen bezwingen und ihre Schätze zurückholen.
„Der Leser wird in dieser Geschichte herangeführt an eine märchenhafte, aber auch furchterregende Welt“, analysierte der Tolkien-Experte. „Der kleine Hobbit“ zeige, dass es bei der Lösung schwieriger Aufgaben gar nicht so sehr auf Kraft oder besondere Fähigkeiten ankomme. „Bilbo beweist Mut. Er stellt sich den Aufgaben, die vor ihm stehen und hofft, dass es irgendwie gut geht.“ Daher habe der Roman nichts an Faszination für Kinder und Erwachsene verloren.
Lange Zeit sei der Roman, als dessen Fortsetzung Tolkien den Mythenkomplex „Der Herr der Ringe“ schrieb, von der Wissenschaft vernachlässigt worden. „Weil er nur eine Kindergeschichte war, belächelte man ihn“, sagte Honegger. Inzwischen zeichnet sich ein Wandel ab. So ist in diesem Jahr die Entstehungsgeschichte des Romans in zwei Bänden von Tolkien-Forscher John Rateliff erschienen. Zudem will der Regisseur der „Der Herr der Ringe“-Trilogie, Peter Jackson, „Der kleine Hobbit“ bis 2010 verfilmen. „Ich denke, es ist gut, wenn wir uns das Buch im Vorfeld akademisch anschauen“, erklärte Honegger.
Auf der Tolkien-Konferenz nähern sich Sprach-, Literatur- und Musikwissenschaftler sowie Theologen und Mediävisten dem Roman von verschiedenen Seiten. Neben der Betrachtung von Tieren, Träumen, Gier und Reichtum in der Fantasiewelt, wird das Werk auch in die Kinderliteratur der 30er Jahre eingeordnet. „Themen für unsere Seminare gibt es genug. Das ist wie bei Goethe; über den wird seit 200 Jahren geschrieben, und da fragt keiner: Seid ihr jetzt bald mal fertig?“
Die Deutsche Tolkien Gesellschaft, die das Treffen organisiert, besteht seit zehn Jahren und hat rund 500 Mitglieder.
(Gespräch: Theresa Krohn, dpa/wip)