Von Susanna Gilbert-Sättele
Richtig wohl fühlt sich der Kabarettist und Schriftsteller Frank Goosen nur im Mikrokosmos Bochum. Kein Wunder also, dass das Kind des Ruhrpotts seiner Heimat erneut ein Buch gewidmet hat. „Radio Heimat“ heißt das neue Werk des 1966 geborenen Bochumers. Seine Botschaft: Egal, welche Vorteile andere Orte aufweisen können, gegen seine Geburtsstadt kommen sie nicht an. Mit Humor, Herzblut, einem gewissen Hang zur Nostalgie und reichlich Lokalpatriotismus schildert der Autor die „schönste Heimat der Welt“.
Die „Geschichten von zuhause“ - so der Untertitel - lesen sich wie eine Hommage an die „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ und wie die leicht verklärten Erinnerungen eines Schriftstellers an seine Kindheit. Sie lesen sich so, wie einer vor lieben Freunden Anekdoten aus seinem Leben zum Besten geben würde. Wer „Radio Heimat“ gelesen hat, sieht den Kohlenpott mit neuen Augen. Das amüsante Buch ist genau das, was Goosens Fans nach seinen früheren Erfolgstiteln wie „liegen lernen“ oder „Pokorny lacht“ erwarten.
Doch es ist auch ein Lehrbuch über das Geschehen in den Bundesrepublik der 1970er Jahre. Im heimatlichen Revier erlebte auch Goosen all das, was seine Alterskollegen von München bis Hamburg ertragen oder genießen durften: Der erste Klammerblues im elterlichen Partykeller, die erste Fahrt mit dem eigenen Auto, Pubertät, Kneipenbesuche - Vollrausch inbegriffen - und natürlich die Lehr- und Studienjahre. Doch in der ehrlichen und gleichzeitig komischen Liebeserklärung wird nun mal der Ruhrpott zur unverwechselbaren Kulisse, die Schwaben, Bayern oder gar Westfalen blass aussehen lässt. Der ganz eigene Pott-Charme entfaltet sich für den Autor vor allem bei den lukullischen Spezialitäten, allen voran der Curry-Wurst mit Mayo und bei dem Hochprozentigen, das in „Trinkhallen“ rund um die Uhr eingeschenkt wird.
Es ist eine überschaubare, sorgsam abgesteckte Welt, die der Pott-Patriot mal vom Küchentisch, mal aus der Stammkneipe beschreibt: „Südlich von Hattingen ist für mich Tirol, nördlich von Recklinghausen Dänemark, östlich von Unna beginnt für mich Sibirien und westlich von Duisburg ist die Welt zu Ende und alle fallen ins Urmeer.“ Dabei macht er auch vor den Klischees über das Ruhrgebiet nicht halt. Das alte Thema Kohlestaub ist zwar für Goosen, nicht aber für seine Schwiegermutter zu den Akten gelegt. Luft, so schreibt er, hatten wir früher keine. „Heute sind wir laut Ruhrgebietstourismus GmbH der reinste Luftkurort. Eine Art Davos mit Industriekultur.“
Seine heimatkundlichen Beobachtungen nehmen auch den etwas groben Menschenschlag und ihre derbe Sprache unter die Lupe: So wird eine Begrüßung wie „Ey Jupp, du altes Arschloch!“ vom Angesprochenen keineswegs als Beleidigung empfunden. Im Gegenteil. Trifft man Jupp ein paar Tage später wieder und sagt nur „Hallo Jupp!“, kann es sein, dass der zurückstänkert: „Watt ist denn mit dir los?. Bin ich dir kein Arschloch mehr wert, Herr Graf?“.
Nur wer seine Heimat innig liebt, kann Menschen so ehrlich beschreiben wie Goosen etwa die betagten Ruhrfrauen in den 1970er Jahren. „Wenn sie nicht im Haushaltskittel daherkamen, trugen diese Frauen Tantenpullover. Unifarbene Strickpullis mit V-Ausschnitten, die sich über einen unglaublichen Atomvorbau spannten. So was wird heute gar nicht mehr gebaut. Die Mieder, die das stützen mussten, waren Meisterleistungen der Ingenieurplanung, höchstens noch vergleichbar mit Bauwerken wie der Fehmarn-Sund-Brücke. Man fragt sich spontan: Wie kommt die Tante da überhaupt rein? Vermutlich wie der Christbaum ins Netz kommt.“
Literaturangabe:
GOOSEN, FRANK: Radio Heimat. Geschichten von zuhause. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010. 168 S., 14,95 €.
Weblink: Eichborn Verlag