Von Susanna Gilbert-Sättele
Sie haben keine eigene Identität, sie haben keine Freunde, ihre oberste Maxime ist Misstrauen. Beim amerikanischen Geheimdienst CIA werden diese Topagenten unter der Bezeichnung „Touristen“ geführt. Zu ihnen zählt auch der exzellent ausgebildete Milo, der in der CIA-Zentrale als Geheimagent für Spezialaufträge besonders geschätzt wird. Doch Milo, alias Charles Alexanders, hat der CIA nach einer gefährlichen Verletzung den Rücken gekehrt. Nach sechs Jahren, in denen er versuchte, so etwas wie eine normale Familie aufzubauen, holt ihn sein damaliger Chef Tom Grainger wieder zurück in die „Company“.
„Der Tourist“ hat alles, was einen Agententhriller zum Bestseller machen kann - vor allem Spannung bis zur letzten Seite. Der Leser muss sich aber konzentrieren, denn Olen Steinhauer legt viele Fährten, die nicht alle sofort zur Lösung führen, aber letztendlich für ein plausibles und dramatisches Ende notwendig sind. Da wundert es nicht, dass eine Verfilmung des Thrillers mit George Clooney in Vorbereitung ist.
Es ist die Zeit des Terrors, des Anschlags auf die beiden Türme in New York, der Ausbildung von Super-Terroristen rund um den Globus und der Verteidigung der amerikanischen Machtinteressen in der Welt. Doch Steinhauer geht es nicht nur um den Terrorismus, sondern auch um den Kampf um Öl als unerlässliches Schmiermittel der Wirtschaft. Das brauchen vor allem die Amerikaner, um ihre Macht zu wahren. Grainger bringt es auf den Nenner: „Ein Imperium zu behaupten ist zehnmal schwieriger, als es zu erobern.“
Milo spürt sehr schnell, dass die Bedrohungen des Imperiums viele Gesichter haben: die Russenmafia, die chinesische Industrialisierung, herrenlose Atombomben und lautstarke Muslime in Afghanistan, die den Klammergriff Washingtons um den ölreichen Mittleren Osten lockern wollen. Genau in dieser Gemengelage muss Milo operieren. Fragen nach dem Sinn seiner Arbeit, den Hintergründen für die Aufträge, gibt es beim CIA selbst dann nicht, als ein Kollege aus den eigenen Reihen exekutiert werden „muss“. Touristen haben zu funktionieren, Aufträge auszuführen und dann wieder abzutauchen.
Bei Milo geht das eine ganze Zeit lang gut. Er jagt den berüchtigten Killer Benjamin Harris, genannt „Tiger“, er spürt ihn auf und muss erleben, wie sich der Gehetzte in einer Polizeizelle vor seinen Augen mit einer Giftkapsel umbringt. Milo ist bestürzt als er von Harris erfährt, dass der Tote als Tourist genau die selben Auftraggeber wie er selbst hatte. Diese waren es auch, die den „Tiger“ mit einer raffinierten Methode mit der tödlichen Krankheit Aids infizierten. Die Verantwortlichen hatten ihn zum Schweigen gebracht, damit er keine Geheimnisse mehr ausplaudern konnte.
Milo, der mit ihm gesprochen hatte, war jetzt doppelter Geheimnisträger und damit auch gefährlich für die Company. Er taucht unter - doch seine Verfolger hetzen ihn gnadenlos um die Welt. Bis zum Schluss hält der Leser in Angst um seinen Helden den Atem an.
Literaturangabe:
STEINHAUER, OLEN, Der Tourist. Heyne Verlag, München 2010. 544 S., 19,95 €.
Weblink: Heyne-Verlag