Von Isabelle Pfleiderer
Mit Verbrechen kennt er sich bestens aus. Viele Jahre lang hat der italienische Autor Gianrico Carofiglio in seiner Heimatstadt Bari als Richter und Anti-Mafia-Staatsanwalt gearbeitet. Eine Zeit lang hat er sogar die italienische Regierung in Sachen organisierte Kriminalität beraten. Daneben hat Carofiglio drei Krimi- Bestseller um den sympathischen Rechtsanwalt Guido Guerrieri veröffentlicht. Vor kurzem ist nun sein Roman „Die Vergangenheit ist ein gefährliches Land“ auf Deutsch erschienen, nachdem das Buch in Italien schon seit fünf Jahren auf dem Markt ist. Dieses Werk ist völlig losgelöst von der Guerrieri-Reihe: Es handelt von einem 22- jährigen Studenten, der in ein zwielichtiges Umfeld gerät und dadurch völlig aus der Bahn geworfen wird.
Als der bis dato vorbildliche und zielstrebige Jura-Student Giorgio eines Abends dem nur zwei Jahre älteren, charismatischen Francesco begegnet, ändert sich schlagartig sein Leben. Giorgios beschauliche, bürgerliche Existenz erfährt „eine unvorhergesehene Beschleunigung“ – „wie die Raumschiffe in Zeichentrick- oder Sciencefiction-Filmen, die wie eine Art Feuerwerkskörper losgehen und davonschießen, bis sie zwischen den Sternen verschwinden“. Francesco ist ein Spieler, zuhause in diversen illegalen Clubs.
Meisterhaft versteht er es, andere zu manipulieren und auszunehmen. Er nimmt Giorgio unter seine Fittiche und führt ihn ein in die Welt der Trickbetrüger. Beide werden Partner am Pokertisch und perfektionieren schnell ihr betrügerisches System. Der Einsatz steigt und damit auch das Risiko. Bald kommt auch Kokain ins Spiel. Giorgio gerät in einen gefährlichen Strudel, der ihn immer tiefer ins Verderben zieht.
Parallel zu dieser Geschichte hat Carofiglio eine zweite Handlung angelegt: Die Polizei in Bari fahndet auf Hochtouren nach einem Vergewaltiger, der spätnachts schon mehrfach junge Frauen auf dem Heimweg überfallen hat. Der Unbekannte geht dabei offenbar planvoll und nach dem immer gleichen Muster vor, hinterlässt aber nie Spuren. Von Mal zu Mal wird er brutaler. Für Kommissar Giorgio Chiti und seine Mannschaft ist der Täter „praktisch nicht zu greifen, wie eine verdammte Rauchschwade“. Auch darauf spielt wohl der Zigarettennebel an, der auf dem Buchumschlag abgebildet ist. Endlich kommt den Fahndern Kommissar Zufall zu Hilfe.
„Die Vergangenheit ist ein gefährliches Land“ ist kein klassischer Kriminalroman, bei dem die Ermittlungsarbeit der Polizei im Vordergrund steht. Das Hauptaugenmerk liegt vielmehr auf den erstaunlichen Psychogrammen, die der Autor von seinen Hauptpersonen zeichnet: Etwa, wenn Giorgio die letzten Einflüsterungen seines Gewissens zum Schweigen bringt. Oder wenn Francesco seinen neuen Freund zuerst in einen Betrug verwickelt und ihn danach mit metaphorischen Ausführungen so einlullt, dass Giorgio sich letztendlich nicht als Komplize eines Betrügers, sondern eher wie der Partner von Robin Hood fühlt.
Mit einem ausgeprägten Gespür für Atmosphäre und Spannung entwirft Carofiglio eine ebenso schillernde wie bedrohliche Schattenwelt, in der ein ahnungsloser und unerfahrener junger Mensch zu scheitern droht, weil er ihre Gesetze nur zum Teil durchschaut und ihre Abgründe erst gar nicht ermessen kann. Auch wenn sich eigentlich nicht viele Lösungsmöglichkeiten anbieten, wie am Ende die beiden Handlungsstränge miteinander verknüpft werden können, bleibt die Lektüre doch packend und spannend bis zum Schluss.
Literaturangaben:
CAROFIGLIO, GIANRICO: Die Vergangenheit ist ein gefährliches Land. Aus dem Italienischen von Julia Eisele. Goldmann Verlag, München 2009. 288 S., 19,95 €.
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