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Faszination Monet

Katalog zur Ausstellung im Von der Heydt-Museum, Wuppertal

© Die Berliner Literaturkritik, 27.01.10

Von Klaus Hammer

Als er sich in den 1880er Jahren in dem Dorf Giverny bei Vernon, 80 km von Paris entfernt, niederließ und seinen Garten anzulegen begann, schien das wie ein Rückzug aus dem künstlerischen Leben. Die impressionistische Bewegung hatte längst ihren Höhepunkt überschritten, jüngere Künstler wie Seurat wollten die Vorherrschaft des Auges über den Verstand brechen und wieder Ordnung, Struktur und System in das Chaos des „Sehens“ bringen.

Aber dieser Garten von Giverny mit seinen Treibhäusern war für den alternden Künstler Claude Monet nicht nur ein Ort der Augenfreude, sondern ein Laboratorium der Moderne, in dem er in hartem, angestrengtem Ringen über drei Jahrzehnte seine „Studien- und Forschungsarbeit“ betreiben sollte. Der Garten mit seinen exotischen Seerosenarten und Wasserpflanzen, den Iris, den Trauerweiden und der grünen glyzinienüberwucherten japanischen Brücke lieferte dem Künstler im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, von Wetter und Lichtverhältnissen die unerschöpflichen Motive für seine bevorzugten Bilder der Spätzeit. Er wurde sein Kunstwerk, das eine ununterbrochene Serie neuer Kunstwerke hervorrief. Begünstigt durch ein langes Leben, vermochte Monet die letzten Konsequenzen aus seiner eigenen Malerei zu ziehen. Er, der einstige Begründer einer schon längst als überlebt geglaubten Bewegung, reihte sich selbst in die Schar der großen Anreger und Exponenten der Moderne im 20. Jahrhundert ein.

Nach der Kandinsky-Ausstellung 2004 und der Renoir-Ausstellung 2007 zeigt das Von der Heydt-Museum in Wuppertal jetzt bis 28. Februar 2010 einen Überblick über das Gesamtwerk Monets mit etwa 100 repräsentativen Werken aus allen wichtigen Schaffensperioden. Leihgaben kommen aus den großen Museen der Welt, vor allem 30 Gemälde und ebenso viele nach Serien zusammengefasste Zeichnungen, besonders die „Nymphéas“ des Meisters von Giverny, aus dem Musée Marmottan Monet in Paris, der weltweit umfangreichsten Monet-Sammlung.

In den Beiträgen des stattlichen Katalogbuches werden vielfältige neue Aspekte in die Monet-Forschung eingebracht. Gerhard Finckh spürt der „Faszination Monet“ nach und sieht vor allem in den Seerosenbildern Monets großes Vermächtnis für die Geschichte der Kunst. Marianne Delafond beschäftigt sich mit deutschen Sammlern, die Werke der impressionistischen Bewegung zusammengetragen haben, Werke, die sich heute in international renommierten Museen befinden. Die Beziehung Monets zum Kunsthändler Durand-Ruel im Umfeld der Finanzkrise und der 7. Impressionisten-Ausstellung von 1882 untersucht Marie-Christine Decrooq auf der Grundlage deren beider Korrespondenz. Stefan Lüddemann stellt die Frage nach möglichen Bezügen Monets und seines malerischen Werkes zur Politik und kommt zu dem Schluss, dass Monets Kunst nicht im vordergründigen Sinne politisch war, sie aber erheblich in ihrer eigenen Zeit wirkte.

Karin Sagner geht auf Monets Haus, Garten und Seerosenteich in Giverny als gärtnerische Anlage und irdisches Paradies ein und widmet sich in einem weiteren Beitrag speziell den Seerosenbildern und ihrer Installation in der Pariser Orangerie. Der Augenarzt Klaus Dieter Lemmen beschäftigt sich damit, wie der graue Star sich bei Monet auf das Sehen ausgewirkt und wie er nach erfolgter Operation in einem wahren Schaffensrausch die großen Seerosenbilder für die Orangerie vollendet hat. Philippe Piguet sieht in dem Meister von Giverny den „Schöpfer“, den Gestalter und Organisator der Natur, der sich der Natur bedient, sie auf ihre Gesetzmäßigkeiten zurückführt, an einen ganz bestimmten, auserwählten Ort, „in situ“, den er selbst so umgestaltet, dass er ihn für sein Malvorhaben nutzen kann. Dem Weiterwirken Monets bis ins 20. Jahrhundert widmet sich schließlich Karin Sagner, sie verfolgt Monets Bedeutung für die Kunst der Moderne bis zum abstrakten Expressionismus der 1950er Jahre und sieht sie am überzeugendsten in der abstrakten Farbmalerei dokumentiert.

In der Tat, Monets Sicht der Energie als ein kontinuierliches Feld von Nuancen war gerade für die abstrakte Malerei 30 Jahre nach seinem Tod - in den 1950er Jahren - von großer Bedeutung geworden: für Jackson Pollock, Sam Francis und die abstrakten Expressionisten in New York ebenso wie für Jean Bazaine, André Masson, Jean-Paul Riopelle und andere französische Künstler. Als verbindender Gedanke lässt sich die Wiederentdeckung des Malerischen benennen, das den Kern ihrer aller Malerei ausmacht. Bei Jackson Pollock verwandelt sich die Bildfläche in ein Kontinuum von kleinen Episoden; waren es bei Monet die Kurven und Tupfer des Pinsels, sind es bei Pollock die Schleifen und Spritzer der Farbe. Dagegen glaubten Clyfford Still, Mark Rothko und Barnett Newman, dass große Farbfelder zu feierlichen und erhabenen Wirkungen führen.

Monets impressionistische Bilder zeigen im Katalog vornehmlich durchsonnte Landschaften, Spaziergänger in der Natur, sommerliche Bilder mit Badenden und Segelbooten, Gebäude im farbigen Schattenspiel. Das Lichtspiel einzufangen war für Monet ein Grundbedürfnis. Deshalb malte er als faszinierende Sondererscheinungen der Natur im Wandel des Lichtes auch Überschwemmungen, Eistreiben, Straßen im Schnee und winterliche Sonnenuntergänge. Keiner der Impressionisten hat die „Haut“ der Landschaft beredter geschildert als Monet. Er malte die Bäume, das Meer und den Himmel so, wie Renoir die Haut der Frauen malte. Und doch strahlen nur wenige der Bilder, die er vor seinem 50. Geburtstag schuf, die gedankliche Durchdringung, die analytische Ruhe innerhalb eines Gartens Eden aus, die seine wirkliche Größe ausmachen. Schon 1880 äußerte Monet große Bedenken gegen den Impressionismus als Kunstrichtung, weil es für zweitrangige Künstler so leicht war, Wirkungen mit impressionistischen Tricks zu erzielen. Er wollte in die Tiefe gehen, die tiefer liegenden Interaktionen zwischen Auge und Verstand bloßlegen.

1888 begann er dann mit einem System, das das gleiche Motiv immer wieder von Neuem, in Serien, zeigte. 1891 stellte Monet seine erste Bilderserie aus: 15 Ansichten von Heuschobern. Die runden Heuhügel waren fast das Formloseste, was Menschen errichten konnten. Sie waren neutrale Motive im wechselnden Licht. Monet wollte 15 der unendlich variierbaren Lichtwirkungen zeigen, die man einem Motiv zu verschiedenen Tageszeiten und bei unterschiedlichem Wetter abgewinnen kann. Jeder Heuschober sollte ein Beispiel für etwas gleichzeitig Alltägliches und immer Wiederkehrendes sein und alle Möglichkeiten ausschöpfen, die ein menschliches Auge erfassen kann.

Die „Nymphéas“, wie er sie poetisch nannte, die Bilder der Seerosen, an denen Monet in verschiedenen, systematisch aufgebauten Phasen und Teilserien seit 1897 gearbeitet hatte, wurden zum künstlerischen Leitmotiv der späten Jahre. Wie ein schöpferischer Fotograf rückte der Künstler immer näher an das Motiv heran, verschob den Rahmen von Fassung zu Fassung, bis die Uferlinie oft völlig ausgeschlossen war. Monet entdeckte, dass es eine Landschaft ohne Horizont gibt, die jede Distanz zwischen Auge und Bild aufzuheben vermag. Der Betrachter kann in diese Licht- und Wasserlandschaften eintauchen, sie umfassen ihn, tragen ihn mit im Fließen und Strömen eines Prozesses, der dem Bewusstsein, der Erinnerung gleicht. Das war die letzte Konsequenz des Impressionismus und zugleich dessen Umschlagen in die Abstraktion. Das Unbestimmte einzufangen, das Flüchtige zu fixieren, den so vergänglichen und komplexen Ansichten Form und Platz zu geben - das waren damals die wichtigsten Bestrebungen der Moderne.

Ausstellung und Katalog beziehen aber auch die anderen berühmten Serien der 1880er und 1890er Jahre ein: Von Giverny reiste Monet nach Rouen, um dort 2-mal - bei unterschiedlichem Licht - die Fassade der Kathedrale zu malen, er begab sich nach London, das ihm bei Nebel am schönsten erschien, er hielt sich wiederholt an der zerklüfteten Küste der Normandie auf und von einem Atelierboot aus wurde ihm die Seine-Landschaft zum Projektionsbild subjektiver Empfindungen. Mit dieser Serienherstellung wollte Monet verdeutlichen, dass sein Thema nicht die Ansicht selbst war, sondern der Akt des Sehens - ein verstandesmäßiger Vorgang, der subjektiv abläuft, niemals festlegt, immer im Werden begriffen ist.

Die Kathedralen-Bilder gerieten farblich fließend und pastos. Die Dichte des Farbauftrags lässt nicht den Eindruck von Atmosphäre aufkommen. Die Fassade ist nicht mehr in Licht gebadet, sondern von Farbe verkrustet. In der Umgebung von Giverny entstanden die Eisschollen-Bilder in ungewöhnlichen Farbgebungen und mit frostig-atmosphärischen Effekten, Kälte und Verlassenheit widerspiegelnd. In den fast monochromen Felsküsten-Bildern wird das Motiv radikal reduziert, die Landschaft allein aus Farbflächen subtil wechselnder Helligkeit gebaut. Und die reale Vegetation der Seine-Landschaft spiegelt im Wasser eine projizierte, die ein Eigenleben zu führen scheint.

Seit etwa 1970 hat auch die Kunstgeschichte begonnen, über das Alterswerk des Meisters von Giverny neu nachzudenken und ihn neben Cézanne als zweiten Patriarchen der Moderne einzuordnen. Dieses Katalogbuch setzt dazu einen weiteren wichtigen Baustein.

Literaturangabe:

FINCKH, GERHARD (Hrsg.): Claude Monet. Katalog zur Ausstellung Claude Monet. Von der Heydt-Museum, Wuppertal 2009. 276 S., 25 €.

Weblink:

Von der Heydt-Museum


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