BERLIN (BLK) – Bereits in dem Standardwerk „Auf kurze Distanz“ habe Thomas Böhm die Faszination und Potentiale der Autorenlesung erörtert, schreibt edition tropen. In „Weltempfang“ dehne er das Thema auf die ganze Welt der Lesung aus und lasse international bekannte Autoren, Übersetzer sowie Literaturvermittler zu Wort kommen.
Lesungen sind die einzige Möglichkeit, Erfahrung und Bildung miteinander zu verbinden, Horizonte zu erweitern und Autoren anderer Weltregionen kennen zu lernen. „Weltempfang“ versammelt Berichte und Ideen von international bekannten Schriftstellern, Übersetzern und Literaturvermittlern, zeigt die Hintergründe, vor denen Literatur auf anderen Kontinenten entsteht und verbreitet wird – zum besseren Verständnis der Weltliteratur der Gegenwart, als Ideenpool und Maßstab für das Gelingen von Lesungen.
Mit Beiträgen unter anderem von Adonis, T. C. Boyle, Marlene Streeruwitz, Kenzaburo Oe und einer Liste von Literaturfestivals weltweit.
Thomas Böhm, geboren 1968 in Oberhausen, studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Literaturvermittlung und Medienpraxis in Essen und Wolverhampton.(Klappentext) (wag/ang)
Leseprobe:
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Meine allererste Lesung hielt ich nicht vor Lesern, sondern in einem Raum voller Schreibender. Ich las auch nicht eine eigene Arbeit vor, sondern die eines anderen. Die Gepflogenheiten unseres Erzähler-Workshops im West Side-CVJM brachten also eine besondere Art Peinlichkeit mit sich. Denn man stand nicht vorn und las einen eigenen Text vor, sondern unser Lehrer wählte nach zufälligen Kriterien einen Mitstudenten aus (er hatte das Manuskript in der Woche zuvor mit nach Hause genommen und war es durchgegangen), und der stellte sich nun hin, um monoton vorzutragen.
„Keine Emotionen“, warnte unser Dozent. „Wir sind hier nicht an der Schauspielschule. Lesen Sie ruhig und langsam. Lassen Sie die Wörter die Empfindungen transportieren.“
Ich stand da und trug eine Geschichte vor, in der es mir viel zu sehr um den Kühlschrankinhalt der Hauptfigur zu gehen schien. Es war leicht. Es war ja nicht mein Text, folglich war ich nicht nervös, und auch nachdem ich mich gesetzt und die Klasse damit begonnen hatte, den Text zu besprechen, war ich weder aufgeregt noch sonderlich erleichtert.
Ich erinnere mich, dass die Autorin sich bei mir für die Lesung bedankte; da ich aber das Gefühl kannte, jemand anderes durch meine Sätze stottern und stolpern zu hören, gehe ich davon aus, dass sie bloß höflich sein wollte.
Zu jener Zeit hörte ich regelmäßig eine Radiosendung mit dem Titel „Selected Shorts“, in der Broadway- und Off-Broadway-Schauspieler unter immensem Einsatz von Emotionen Kurzgeschichten vorlasen. Ich nahm die Sendungen auf und hörte sie auf dem Weg zur Arbeit noch einmal. Die Kunstfertigkeit, mit der diese Profis Richard Fords Communist oder Toni Cade Bambaras Blues Ain’t No Mockin’ Bird vortrugen, gab der ohnehin schon aus dem vollen schöpfenden Erzählweise zusätzliche Kraft. Diese Neuinterpretationen waren viel unterhaltsamer als die trockenen Caedmon-Aufnahmen von Faulkner und T.S. Eliot beim Vortrag ihrer Werke. Jedoch war ich schon damals Purist genug, um den Unterschied zu erkennen: Erstere waren zwar gefälliger, aber sie entsprangen auch schauspielerischem Können; in gewisser Weise grenzten sie an Taschenspielerei. Letztere dagegen waren, wenn auch enttäuschend, so wenigstens ehrlich und versuchten, dem authentischen Ausdruck des Autors näher zu kommen.
aus Stewart O'Nan, Was Machen wir hier?
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Literaturangaben:
BÖHM, THOMAS (HRSG.): Weltempfang. Panorama internationaler Autorenlesungen. edition tropen Berlin 2006. 192 S., 16,80 €.
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