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Feuilleton 2009

Tränen und Triumphe - Was die Feuilletons bewegte

© Die Berliner Literaturkritik, 08.12.09

Von Gregor Tholl und Britta Schmeis

HAMBURG (BLK) - Tränen, Tritte und Triumphe bewegten im Jahr 2009 die Feuilletons - und das nicht zu knapp. In Bayreuth mussten sich erstmals zwei Frauen an der Spitze der traditionellen Wagner-Festspiele beweisen, in Berlin zankten sich die zwei alternden Theatermänner Claus Peymann und Rolf Hochhuth und die Welt trauerte um die Choreographin Pina Bausch und die Schauspielerin Monica Bleibtreu. Zugleich feierten die mehr oder weniger deutschen Filme „Das weiße Band“ und „Soul Kitchen“ internationale Erfolge. Ein kleiner Überblick - ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

TRÄNEN: Das Jahr 2009 war ein Jahr der Abschiede von den ganz Großen des deutschen Kulturbetriebes: Pina Bausch zum Beispiel, die Revolutionärin des Tanztheaters, weltweit gefeiert und ausgezeichnet. Sie machte Wuppertal zu einer Weltstadt des Tanzes. Ihr plötzlicher Tod im Juni löste weltweit Bestürzung und Trauer aus. Das Sprechtheater musste derweil verkraften, dass die Inszenierungs-Meister Peter Zadek und Jürgen Gosch verstummten. Und bei den großen Denkern verließ Lord Ralf Dahrendorf den Diskurs. Film und Fernsehen verloren viel zu früh einige ihrer beeindruckendsten Gesichter. Die starken Schauspielerinnen Monica Bleibtreu und Barbara Rudnik konnten ihre Krebserkrankungen nicht besiegen.

TRITTE: Einstecken mussten mal wieder die neuen Theater-Intendanten. Die Spielzeit 2009/10 hat so viele Spitzenpersonalwechsel gebracht wie lange nicht mehr ­ und viele unterschiedliche Strategien. In Wien hatte Überflieger Matthias Hartmann (Bochum, Zürich und jetzt eben Burgtheater) sich mit Faust I und II zu Anfang ein bisschen zu viel vorgenommen. Barbara Frey als seine Nachfolgerin in Zürich, genauso wie der stille Ulrich Khuon am Deutschen Theater, waren mit ihren Anfängen klüger, die sie mehr als normale Arbeitsaufnahme denn als Knall inszenierten.

Spannend dürfte es am Schauspiel Frankfurt/Main werden, das mit seinem Neuen Oliver Reese vielleicht endlich wieder in die höchsten Sphären der Bühnenkunst aufsteigt. „Theater des Jahres“ wurden die Münchner Kammerspiele unter Frank Baumbauer. Als „Opernhaus des Jahres“ überraschte derweil das beschauliche Basel. Nach den unruhigen Jahren unter dem Ostdeutschen Michael Schindhelm, der dieses Jahr übrigens als Kulturmanager in Dubai scheiterte, versteht es der Schweizer Georges Delnon, vieles richtig zu machen.

Apropos Bühne: Zum gefühlten 1000. Mal haben sich die Intellektuellen und die, die es gern wären, im Jahr 2009 auch am Hassobjekt „deutschsprachiges Regietheater“ abgearbeitet. Der 34 Jahre alte Bestsellerautor Daniel Kehlmann, Sohn des Regisseurs Michael Kehlmann und der Schauspielerin Dagmar Mettler, trat die Diskussion los: In seiner Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen bescheinigte er zahlreichen Regisseuren allzu viel Selbstherrlichkeit und künstlerische Freiheit. Sie bemächtigten sich der Theaterstücke ohne sich auch nur ansatzweise als „Diener des Autors“ zu verstehen.

WEITERE TRITTE: „Lasst mich mit eurem Krebs in Ruhe. Ich kann es nicht mehr hören und lesen“, schrieb FAZ-Redakteur Richard Kämmerlings über die so genannte Boulevardisierung des Leids in den Krebsbüchern und Erfahrungsberichten von Intellektuellen wie Ex-„Spiegel“-Redakteur Jürgen Leinemann oder Theatermacher Christoph Schlingensief. Ob einem die Bücher recht waren, war vielleicht weniger eine Geschmacksfrage denn eine Frage der Betroffenheit und des Mitleids - eigentlich kein Thema für Krawall.

Im Nachtreten übten sich die Berliner Theatermänner Peymann und Hochhuth und lieferten damit eine unvergleichliche Posse zweier alternder Herren: Im Sommer stritten sie über das Aufführungsrecht des 78-jährigen Hochhuth im Berliner Ensemble, dessen Eigentümer Hochhuth über eine Stiftung ist. Während des Streits stürmte der Dramatiker sogar einmal das BE, um sich Zutritt zu einer Pressekonferenz zu verschaffen. Der 72-jährige Peymann wertete den Auftritt als Zeichen „äußerster Verzweiflung“ eines Autors, der nicht mehr gespielt würde. „Es tut mir sehr leid. Aber das ist das Schicksal von alten Männern. Wahrscheinlich teile ich das auch eines Tages“, sagte Peymann über seinen sechs Jahre älteren Kollegen.

Den Fehltritt des Jahres leistete sich derweil das schöne Dresden, das es tatsächlich geschehen ließ, den Welterbe-Status für das Elbtal zu verlieren, um seine Waldschlößchenbrücke bauen zu können. Dafür darf sich seitdem das deutsche Wattenmeer vom niederländischen Texel bis zum schleswig-holsteinischen Sylt mit dem Titel schmücken.

TRIUMPHE: Der Triumph des Jahres ist zweifelsohne der Literaturnobelpreis für Herta Müller - fast unumstritten. Daneben triumphierte Dirigent Christian Thielemann über das Hickhack in München, indem er einfach nach Dresden ging, zeigten es die Wagner-Halbschwestern allen Zweiflern in Bayreuth - auch wenn Katharina Wagner für ihre „Meistersinger“-Inszenierung Buhrufe einstecken musste. Der Hamburger Regisseur Fatih Akin jubelte mal wieder auf einem internationalen Filmfestival, diesmal in Venedig, wo sein Film „Soul Kitchen“ den Jury-Preis erhielt.

Als leicht getrübten Triumph kann man wohl Hape Kerkelings Bundestagswahlkampfparodie „Horst Schlämmer - Isch kandidiere“ bezeichnen. Die Nachrichtensender berichteten zwar den ganzen Tag live von der Vorstellung der Satire und zahlreiche Wähler hätten bei der Bundestagswahl lieber ein Kreuzchen für den schmierigen Neu-Politiker gemacht, doch der Film selbst war nicht mal halb so lustig wie die PR rund um ihn.

Dann doch lieber Ulrich Tukur, der den zwiespältigen Nazi John Rabe in dem gleichnamigen Film spielte, der zugleich ein „chinesicher Schindler“ war, und dafür mit dem Deutschen Filmpreis belohnt wurde. Zu guter Letzt seien die Erfolge der Österreicher Birgit Minichmayr - Silberner Bär für ihr fantastisches Spiel im 30-Jährigen-Drama „Alle Anderen“ sowie begehrtes Bühnengesicht in vielen deutschsprachigen Theatern - sowie Michael Haneke nicht vergessen. Haneke bekam für sein geheimnisvolles Epos „Das weiße Band“, das sich ohne vereinfachend zu werden der Vorgeschichte des deutschen Faschismus näherte, in Cannes die Goldene Palme. Und auch der Darstellerpreis ging in Cannes an einen deutschsprachigen Schauspieler: Der gebürtige Österreicher Christoph Waltz wurde für seine Leistung in dem Film „Inglourious Basterds“ von Quentin Tarantino ausgezeichnet.


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