Von Katrin Börner
Ob ein Schweizer je etwas Sinnlicheres geschrieben hat? Martin Suter serviert in seinem neuen Roman „Der Koch“ Menüs, bei denen sich die Gäste die Finger abschlecken und zum Nachtisch immer noch Hunger haben - auf den Tischnachbarn. Alle Rezepte dieser raffinierten Love-Menüs sind zum Nachkochen im Anhang des Romans beschrieben. Ungeübte sollten jedoch lieber zu anderen Verführungsmitteln greifen. Denn die Rezepte, die der Autor sich nach eigenen Angaben selbst ausgedacht hat, verlangen Training in der modernen molekularen und Kenntnisse der ayurvedischen Küche.
Maravan, der Kochkünstler im Roman, ist Tamile. Als Asylbewerber in der Schweiz wird er nur als Hilfskraft im Restaurant beschäftigt, als Tellerwäscher, als Mann fürs Grobe. Eines Tages verliert er auch noch diese Stellung. Doch was er bei seiner Großtante über die traditionelle Küche Sri Lankas gelernt hat, lässt ihn bald zum
geheimen Star all derjenigen aufsteigen, die sich von seiner Kochkunst ein neues Erblühen ihrer Libido erhoffen.
Schuld an dem beruflichen Wechsel ist ein winziger Ausrutscher, den sich der strebsame, fleißige, blitzsaubere Maravan erlaubt. Er verliebt sich in seine Kollegin Andrea und entwickelt das Love-Menü in eigener Sache. Das Ergebnis ist zwiespältig. Kurzfristig hat Maravan den erwünschten Erfolg, langfristig wird Andrea zu seiner Geschäftspartnerin im neuen Business - und Maravan ahnt schon, das kann ganz schön unanständig werden.
Das liegt vor allem an der Kundschaft, die bald nicht nur aus alten Eheleuten, sondern auch aus modernen Geschäftemachern besteht. Die wollen außer an der asiatischen Kost vor allem auch an jungen Models naschen. Noch mehr verabscheut der Koch jedoch, womit einige von ihnen das Geld für die aufwendige Kost verdienen - mit dem Handel jener Waffen, die Tausenden in Maravans Heimat den Tod bringen.
Der Autor bemüht sich sehr, die isolierte Stellung des Tamilen in der Schweizer Gesellschaft und seinen verzweifelten Kampf um ein wenig Erleichterung für die Familienmitglieder in dem politisch zerrissenen Heimatland deutlich zu machen. Beim Leser weckt das jedoch weniger Emotionen als die Beschreibungen von Düften und Beschaffenheit der Speisen. Denn die Verbindung nach Sri Lanka läuft über Mittelsmänner, undeutliche Telefongespräche oder Abbildungen im Internet - das Grauen bleibt weit weg.
Martin Suter, 1948 geboren, war früher Werbefachmann, sogar Creative Director einer renommierten Werbeagentur und zehrte von diesen Erfahrungen in wöchentlichen Zeitungskolumnen über die Business-Class. Daneben schrieb er Reportagen und seit der Veröffentlichung von „Small World“ 1997 einen Bestseller-Roman nach dem anderen. Heute lebt er außer in der Schweiz in Guatemala und auf Ibiza. Seine Romane spielten zwar in der Schweiz, entstünden aber meist in Mittelamerika, erzählte er in Interviews. Derzeit läuft die Verfilmung von Suters Roman „Lila Lila“ in den deutschen Kinos.
Literaturangabe:
SUTER, MARTIN: Der Koch. Diogenes Verlag, Zürich 2009. 272 S., 21,90 €.
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