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Flagellant mit goldener Feder

Bruno Schulz’ „Die Zimtläden“ in neuer Übersetzung

© Die Berliner Literaturkritik, 08.08.08

 

Bruno Schulz geistert durch die moderne Literatur wie ein Gespenst, von dessen Leben man zwar (vor allem seit Jerzy Ficowskis ausführlicher Biografie) eine Menge weiß, dessen Werk und dessen Bedeutung dennoch immer noch Rätsel aufgeben – Verwandtschaften hin und her –, obwohl Literarhistoriker und Übersetzer sich seit vielen Jahrzehnten um dieses Werk bemühen. Es verweigert sich literarischen Kategorisierungen, bleibt ein Einzelfall.

Immerhin, seine Lebensdaten sind nun gesichert: Er wurde 1892 als Sohn des jüdischen Tuchhändlers Jakub Schulz im galizischen Drohobycz geboren, das damals zu Österreich gehörte, in einer Familie, in der man ungeachtet der deutschsprachigen Mutter Henriette Polnisch sprach. Er studierte ab 1910, als das Geschäft des (1915 gestorbenen) Vaters fallierte, Architektur und Malerei, ging, wegen seines prekären Gesundheitszustands aus der österreichischen Armee ausgemustert, auf die Wiener Akademie der Künste und kehrte nach dem Ende des Ersten Weltkrieg ins nun polnische Drohobycz zurück. Der zwergenhafte Einzelgänger schrieb, malte und verdiente sein Brot als Zeichenlehrer an einer höheren Schule. Er unternahm Reisen (sogar ins Ausland), stand mit vielen seiner polnischen Kollegen, aber auch mit Thomas Mann und Joseph Roth im Briefwechsel und versuchte, so hartnäckig wie meist erfolglos seine literarische Produktion bekannt zu machen – er war kein Provinzler, auch wenn er in der tiefsten Provinz lebte.

Als Drohobycz 1939 bei der Teilung Polens zwischen Deutschland und der Sowjetunion an diese fiel, malte er für deren Funktionäre Propagandabilder, als die Stadt zu Beginn des Russlandfeldzugs von deutschen Armeen erobert und in Drohobycz ein Ghetto errichtet wurde, arbeitete er für den SS-Kommandanten Landau und schmückte dessen Dienstvilla mit Fresken (die nach dem Krieg in einer spektakulären Nacht- und Nebelaktion abgenommen und gegen den Protest der Ukraine, zu der Drohobycz inzwischen gehörte, nach Yad Vashem in Israel verbracht wurden). 1942 wurde er von dem SS-Mann Günther auf offener Straße erschossen: nur so.

Schulz wird seitdem häufig jenen Autoren zugerechnet, die als Erzähler des „Schtetl“ die Erinnerung an verlorenes jüdisches Leben bewahren – aber das ist nur sehr eingeschränkt richtig. Der hochgebildete Schriftsteller und Maler betrachtete sich als polnischen Protagonisten der Moderne, und wenn er denn Vorbilder hatte, so wären sie unter den Surrealisten in Warschau, Paris oder Wien zu finden. Doch bleiben solche Einordnungen im Grunde müßig. Selbst Kafka, den man gern als Beispiel heranzieht, und dessen polnische Übersetzung des „Process“ unter seinem Namen erschien, hat er allenfalls kritisch begleitet. Die eigentliche Arbeit leistete seine Freundin Józefina Szelinska, mit der er sich 1935 verlobte. Geheiratet hat er sie so wenig wie Kafka Felice Bauer.

Ende 1933 erschien in Warschau sein erstes Buch „Die Zimtläden“, eine lockere Folge von miteinander verbundenen Erzählungen, in denen mit den Augen eines altklugen Heranwachsenden von dessen Vater Jacub und dessen wahnwitzigen Einfällen, Erfindungen und Taten erzählt wird: ein Geniestreich. Es ist eine völlig irreale Welt, die sich da auftut, denn für Schulz galt: „Wir halten das Wort üblicherweise für den Schatten der Wirklichkeit, für ihr Abbild. Richtiger wäre die umgekehrte Behauptung: Die Wirklichkeit ist der Schatten des Wortes.“ Und weiter: „Die Wirklichkeit ist dünn wie Papier, und jeder Spalt verrät, dass sie bloß imitiert ist.“ Das Papier  ist zwar durchsichtig dünn, aber reißfest, so wie seine Prosa, die – ungeachtet aller in sie wie Fliegen im Bernstein eingelassenen realistischen Passagen (eher sind es Signale), mit seltsamen Wortfindungen prunkt und eine unendliche Folge von Adjektiven und Adverbien über den Text ausgießt. Kaum ein Substantiv oder Satz kommt ohne sie aus.

Und was einen aufmerksamen Leser (es braucht seine geschärfte Aufmerksamkeit) normalerweise stören müsste, entwickelt bei Schulz einen unwiderstehlichen Sog. Denn diese Adjektive sind derart genau, passend und überraschend gesetzt, dass sie die Substantive nicht unter sich begraben, sondern sie bedeutend machen. Etwa so: „Jeden Tag durchwanderte der ganze große Sommer die dunkle Wohnung im ersten Stock des Hauses am Marktplatz: die Stille flimmernder Luftschichten, die leuchtenden Quadrate, die auf dem Fußboden inbrünstig ihren Traum träumten, die Melodie eines Leierkastens, aus der tiefsten, goldenen Ader des Tages hervorgelockt, zwei, drei Takte eines Refrains, die irgendwo, immer wieder, auf einem Klavier gespielt wurden, ohnmächtig auf den weißen Trottoirs zusammenbrachen und sich im Feuer der Tagesmitte verloren.“

Angesichts solcher „gemalter“ Genrebilder, die Stimmungen dingfest machen, müssen sich die Figuren, wollen sie Bestand haben, ins Phantastische flüchten. Eine dicke Tante wird zum Sinnbild wuchernder Fertilität, das Hausmädchen Adele (entfernt verwandt mit jener Therese, die den Bücherwurm Kien in Canettis „Die Blendung“ vernichtet – aber viel jünger und attraktiver) vertritt das Realitätsprinzip, erotisch handfest und zuweilen drohend. Der Vater züchtet auf dem Dachboden seltene Vögel in ganzen Schwärmen, die ihm Adele wegnimmt, indem sie die Fenster öffnet, er hält krause Vorlesungen vor kleinen Näherinnen, in denen Kleiderpuppen zu Homunkuli werden. Kakerlaken überziehen Böden und Wände, und der Vater wird einer von ihnen. Es sind lauter Bilder aus einem Alptraum in der Sommerhitze oder der Winterkälte, die dem jungen Erzähler begegnen.

Als er, aus einer Theatervorstellung weggeschickt wird, um Mutters Tasche zu holen, gerät er in die „Krokodilstraße“, ein industrielles, wegen der Rohheit und der Armut der Arbeiter übel beleumundetes Neubauviertel und stößt dabei auf das, was Schulz wohl am meisten gefürchtet hat: die Vernichtung einer kleinen, bescheidenen, überschaubaren Welt durch den Einbruch des Industriezeitalters. Da fahren Eisenbahnen ohne Gleise mitten durch die Straßen, dazwischen bewegen sich Droschken ohne Kutscher, eine ehrbare Buchhandlung erweist sich als eine Art Pornoshop und der Ausverkauf in einem Textilgeschäft (!) wird zur Massenplünderung. Nichts bleibt an seinem Platz, doch das ist mehr als ein böser Traum.

„Die Krokodilstraße war eine Konzession unserer Stadt an großstädtische Modernität und Verderbtheit. Wir konnten uns sichtlich nichts anderes leisten, als eine Imitation aus Papier, eine Photomontage aus Schnipseln der stockigen Zeitungen vom Vorjahr.“ Genau diese Imitation hat Schulz prophetisch erfunden. Übrigens kommen in diesem Kapitel des Buchs (und sonst kaum je) die Juden vor, die in Drohobycz die Mehrheit waren: als alte Männer mit Kaftanen und langen Bärten, die dem frivolen Treiben entsetzt und würdig den Rücken zukehren.

Manchmal sind diese jähen, verrückten Erfindungen wie Träume eines Depressiven, dann wieder hellsichtige Entdeckungen oder aber ironische Posen, in denen schwarzer Humor regiert. Schulz hat sichtlich auch Spaß an seinen tolldreisten Einfällen und treibt sie mit Fleiß bis ins Absurde.

„Ach, wenn ich diese unsere Erzählungen aufschreibe, wenn ich die Geschichten über meinen Vater am verschlissenen Seitenrand anfüge – gebe ich mich da nicht der billigen Hoffnung hin, dass sie eines Tages ganz unerwartet zwischen den vergilbten Seiten dieses herrlichsten, zerfallenden Buches festwachsen, dass sie in das große Rascheln seiner Seiten einstimmen, in das Rascheln, das sie verschlingt.“ Das herrliche Buch, das der Erzähler entdeckt, besteht freilich nur aus Papierfetzen voller Reklame.

Das Buch, das er selbst geschrieben hat (wie die späteren, nie mehr so überbordenden, nie mehr so geradezu todesmutig phantasievollen) es wurde immer wieder entdeckt – und immer wieder beiseite gerückt: es passte nie ganz in die jeweilige Zeit. Zwar gibt es inzwischen davon Übersetzungen in sechsundzwanzig Ländern, aber ein „Erfolg“ ist es dennoch nie geworden. 1961 erschien im Hanser Verlag eine erste deutsche Übersetzung von Josef Hahn – ohne großes Echo. 1966 hat es der Verlag in der Reihe der „Bücher der Neunzehn“, mit der eine Reihe von deutschen Verlagen ihnen besonders wichtige Werke in einer billigen Ausgabe herausbrachten, noch einmal versucht. Diesmal bereichert um alle bekannten anderen Erzählungen des Autors.

Diese Ausgabe wurde 1992 neu aufgelegt und nun, 2008, den „Zimtläden“ auch noch eine neue Übersetzung von Doreen Daume spendiert, die sich von der Hahns durch größere Texttreue unterscheidet. Beim Vergleich beider schneidet, (ohne dass der Rezensent des Polnischen mächtig wäre und das Original heranziehen könnte, er muss zwischen zwei deutschen Texten hin- und herblättern) die neue Übertragung häufig besser ab, sie ist moderner, auch sperriger als die (gewiss nicht „schlechte“) von Hahn.

Vermutlich hat sich die unablässige Mühe, die der Verlag auf diesen Autor verwendet, gelohnt. Vielleicht ist jetzt Bruno Schulz’ Zeit gekommen, gerade weil er so vollkommen quer steht zu fast allem, was heute geschrieben wird – als Kontrastprogramm. Zuweilen kann so etwas helfen. Eines jedenfalls lässt sich inzwischen verbindlich konstatieren: Schulz gehört zu den großen Autoren der literarischen Moderne des 20. Jahrhunderts, sein Werk zu jenen polnischen Hervorbringungen, ohne die die europäische Literatur weit ärmer wäre.

Literaturangaben:
SCHULZ, BRUNO: Die Zimtläden. Übersetzt aus dem Polnischen von Doreen Daume. Carl Hanser Verlag, München 2008. 230 S., 21,50 €.

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