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Fluchtpunkt Karibik

Wie ein grausamer Diktator deutsche Juden rettete

© Die Berliner Literaturkritik, 19.10.09

Von Klaus Blume

Er war eine der finstersten Gestalten der lateinamerikanischen Geschichte: der dominikanische Diktator Rafael Leónidas Trujillo (1891-1961). Politische Gegner ließ er grausam zu Tode foltern und die ungeliebten haitianischen Einwanderer zu tausenden umbringen. Doch für Hunderte deutscher und österreichischer Juden wurde er zum Retter vor dem Holocaust. Sie fanden in der Dominikanischen Republik einen sicheren Hafen.

Die unglaubliche Geschichte vom Karibik-Tyrannen als Wohltäter haben jetzt der Journalist Hans-Ulrich Dillmann und die Historikerin Susanne Heim untersucht. In „Fluchtpunkt Karibik“ schildern sie, wie die Opfer rassistischer Verfolgung aus Europa auf der anderen Seite des Atlantiks aus ebenfalls rassistischen Motiven willkommen geheißen wurden. Trujillo, eigentlich ein Bewunderer Hitlers, wollte die Juden nämlich als Einwanderer, weil sie Weiße waren. Sie sollten das damals noch dünn besiedelte Land landwirtschaftlich erschließen, sich mit der einheimischen Bevölkerung vermischen und diese „aufweißen“.

Ausgangspunkt war die Konferenz von Évian im Juli 1938. Dort, am französischen Ufer des Genfer Sees, diskutierten Vertreter von 32 Staaten wortreich und ergebnisarm darüber, wie den bedrängten Juden zu helfen sei. Kein Land wollte sie haben, als unerwartet das Angebot aus Santo Domingo eintraf, 10.000 aufzunehmen. Kurz darauf erhöhte Trujillo auf 100.000. Tatsächlich fanden am Ende nur etwa 700 Siedler ihren Weg nach Sosúa im Norden der Insel. Doch sie prägten diesen Landstrich, der heute mit dem Flughafen von Puerto Plata ein beliebtes Ziel des Massentourismus ist.

Dillmann lebt als Korrespondent der „Jüdischen Allgemeinen“ und „tageszeitung“ und freier Mitarbeiter der Deutschen Presse- Agentur dpa seit vielen Jahren in der Dominikanischen Republik. Heim ist Expertin auf dem Gebiet nationalsozialistische Judenverfolgung und internationale Flüchtlingspolitik. Über Évian führen sie den Leser in die ferne Karibikrepublik, die vor 70 Jahren nur wenig mit dem Urlaubsparadies von heute gemeinsam hatte.

Damals wie heute gab es dort aber einen ausgeprägten Rassismus der Dominikaner, einer Mischlingsbevölkerung, gegen die tiefschwarzen Nachbarn aus Haiti, dem östlichen Teil der gemeinsamen Insel. 1937 ließ Trujillo unter den haitianischen Wanderarbeitern im Grenzgebiet ein Massaker anrichten, dem mindestens 17.000 Menschen zum Opfer fielen. Das brachte ihm eine schlechte Presse in den USA. Möglicherweise, so die Autoren, wollte er mit der Aufnahme jüdischer Flüchtlinge bei Präsident Franklin D. Roosevelt Punkte machen. Außerdem war Trujillo grundsätzlich an „weißen“ Einwanderern interessiert.

Das Projekt wurde von jüdischen Hilfsorganisationen unterstützt. Groß waren die praktischen Schwierigkeiten, die bürokratischen Hemmnisse und die Kosten, so dass am Ende nach Schätzung Dillmanns nie mehr als 500 Juden gleichzeitig in Sosúa lebten. Unter großen Schwierigkeiten wurden Städter zu Landwirten, gründeten Lebensmittelläden und Agrarkooperativen und schufen die Fleisch- und Milchwarenfirma „Productos Sosúa“, die es noch heute gibt. Sie bahnten später auch dem Tourismus die Bahn.

Viele Siedler zog es allerdings nach Kriegsende in die USA. Heute leben laut Dillmann nur noch drei von ihnen in Sosúa. Der älteste, Luis Hess, wurde kürzlich 101. Den meisten Juden war schon früh bewusst, welch schrecklichem Despoten sie das Tropen-Asyl verdankten. Aber sie hatten keine Wahl. Die Schriftstellerin Hilde Palm (1909- 2006), die sich nach ihrer Rückkehr aus der Dominikanischen Republik Hilde Domin nannte, brachte es auf den Punkt als sie über Trujillo einmal sagte: „Er war ein furchterregender Lebensretter.“

Literaturangabe:

DILLMANN, HANS-ULRICH/ HEIM, SUSANNE: Fluchtpunkt Karibik. Jüdische Emigranten in der Dominikanischen Republik. Ch.Links Verlag, Berlin 2009. 192 S., 24,90 €.

Weblink:

Ch.Links Verlag

 

 


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