BERLIN (BLK) – Ein Kaktus, eine Pinguinart, Berge, Gewässer, Universitäten, Stiftungen und ein Asteroid: Es gibt vieles, das nach Alexander von Humboldt benannt ist. In fast allen Lebensbereichen hat der berühmte Naturforscher, der vor 150 Jahren (6. Mai 1859) in Berlin starb, seine Spuren hinterlassen. Nicht weniger faszinierend bleibt Humboldt als Abenteurer. Er bestieg hohe Berge, paddelte auf Urwaldströmen und fuhr mit Pferdekutschen von Berlin bis an die chinesische Grenze. Kein Wunder, dass er Forschung und Medien bis heute auf Trab hält.
Als kleiner Beleg für die Faszination reicht ein Blick in die Berliner Humboldt-Universität. Dort sucht ein Biophysiker gerade Hobbybergsteiger, die mit ihm auf den rund 6000 Meter hohen Vulkan Chimborazo in Ecuador klettern. Die Aktion ist kein Zufall, sondern eifert Humboldt nach, der es 1802 trotz blutender Lippen und Schwindel fast bis auf den Gipfel schaffte – lange, bevor es Trekking-Ausrüstungen gab.
Wenn viele Deutsche Alexander von Humboldt heute für einen leicht verschrobenen, weltfremden Querkopf halten, hat das wohl etwas mit Daniel Kehlmanns Bestseller „Die Vermessung der Welt“ zu tun. Mancher Wissenschaftler mag diese literarische Fiktion nicht. Kehlmann habe Humboldt einseitig nach einem überholten Klischee gezeichnet, sagt Ingo Schwarz von der Berliner Akademie der Wissenschaften.
Für Schwarz ist Humboldt ein „außerordentlich vielseitiger Mensch und Naturforscher“ – im Sinne der Aufklärung umfassend gebildet. Zunächst arbeitete er als preußischer Bergbauingenieur. Um die Produktivität zu steigern, gründete er eine Schule für Bergleute und entwickelte eine Grubenlampe. Sie brannte auch in sauerstoffarmer Luft und beleuchtete Rettungstrupps den Weg. Bei Experimenten mit seiner Lampe kam er beinahe ums Leben.
Weltreisender wurde Humboldt erst, als er 1796 ein großes Vermögen erbte. Fast drei Jahre plante er seine Amerika-Expedition. Er kaufte die besten Messinstrumente seiner Zeit. „Zuerst eine Karte, gegründet auf sichere Beobachtungen, damit man sich orientieren könne“, lautete eine seine Maximen. „Selbst erleben, selbst erleiden“ gehörte auch zu seinem Credo – von der Höhlenforschung bis zum Blick in die Sterne.
Typisch für Humboldt war seine Herangehensweise an die Natur: Mineralogie, Botanik, Geografie, Klimaforschung, Meteorologie und sogar politische Ökonomie – für ihn gab es keine feste Trennung zwischen den Disziplinen. „Beim Goldrausch in Kalifornien hat er gleich darüber nachgedacht, ob große Goldfunde den internationalen Geldverkehr aus dem Gleichgewicht bringen können“, berichtet Forscher Schwarz. Große Entdeckungen hat Humboldt zwar nicht gemacht, doch er sammelte unermüdlich Messdaten und prüfte sie auf Gesetzmäßigkeiten.
Heute schätzen Wissenschaftler den Naturforscher Humboldt auch als Humanisten. Mit seinem vorurteilsfreien Denken war er seiner Zeit weit voraus. Klassenunterschiede zählten für ihn wenig. Für Antisemitismus hatte er kein Verständnis. Was heute Rassismus heißt, war Humboldt fremd. Kolonialherrschaft und Sklaverei gingen ihm gegen den Strich. Doch es gibt auch Widersprüchlichkeiten in seinem Wesen. Trotz seiner liberalen und demokratischen Überzeugungen stand Humboldt dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. nahe. Und dabei ging es nicht allein um seine fürstliche Entlohnung als königlicher Kammerherr und Mitglied der Akademie der Wissenschaften.
Spätestens seit seiner Amerika-Reise war Humboldt eine Ikone, bekannt wie heute Popstars. Sein Unterhaltungstalent nutzte er auch außerhalb von Hof und Akademie. Seine Berliner Kosmos-Vorlesungen wurden zum Gesellschaftsereignis für jedermann. Sein guter Ruf reichte viel weiter. „Wohin man rührt, er ist überall zu Hause und überschüttet uns mit geistigen Schätzen“, schwärmte ein berühmter Zeitgenosse, der Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Der lateinamerikanische Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolívar schrieb, Humboldts Weisheit erweise Amerika mehr Wohltaten als alle seine Eroberer.
Humboldts Privatleben bleibt indes fast so undurchdringlich wie der Anden-Nebel. Bekannt ist das gute Verhältnis zu seinem Bruder Wilhelm. Über eine Beziehung zu Frauen ist jedoch kaum etwas bekannt. Er heiratete nie. Wahrscheinlich war er homosexuell. Forscher Schwarz zuckt mit den Schultern. „Humboldts Privatleben birgt einige Geheimnisse, die wir respektieren sollten“, sagt er. Humboldts Testament jedenfalls ist ungewöhnlich: Sein Hab und Gut vermachte er seinem Diener.
Von Ulrike von Leszczynski