Von Carina Dingeldein
„Der Herr mag sein, wie er will, er bleibt doch der Herr.“ So loyal und stets ergeben verhält sich der Wildhüter Lambert gegenüber seinem neuen Schlossherrn, Baron de l’Aubépine, in jeder Situation. Trotz allem.
Gemeinsam mit seiner Frau Eugénie arbeitet er auf dessen Schloss Perrières in der Normandie. Sie sind die einzigen verbliebenen Angestellten des jungen Barons, der erst kurz zuvor die Nachfolge seines verstorbenen Vaters angetreten hat. Seit jeher ranken sich seltsame Geschichten um den eigenartigen Schlossherrn, die alle anderen Bediensteten flüchten ließen. Zu Beginn noch gutgläubig, müssen die Lamberts sowie auch deren Kinder Grégoire und vor allem Magdeleine, bald feststellen, wie merkwürdig, wie befremdlich ihr Herr tatsächlich ist. Perverse sexuelle Neigungen und andere bizarre Fetische regieren sein Leben, steuern sein Verhalten.
Doch was Lambert noch mehr Unbehagen bereitet, ist das revolutionäre Denken seines Herrn. Er, Anhänger von Frankreichs alter Ordnung, begeistert sich in keiner Weise für die ‚rote‘ Aktivität des Barons während der Februarrevolution in Paris und dessen umstürzlerische Pläne auch nach der Errichtung des Zweiten Kaiserreichs 1852 unter Napoleon Bonaparte. Sein fanatisches Streben nach der Republik, für Lambert eine Krankheit, führt zum nicht bewiesenen Mord an seiner langjährigen Gespielin und gipfelt in Anfällen des Wahnsinns. Und obwohl Lambert das und noch viel mehr weiß, bleibt er passiv: „Man hat Angst, seine gute Stelle zu verlieren. Man wohnt und lebt gut bei einem Mörder“.
Der Leser rechnet mit allem. Was kann nun noch kommen? Und wird stets erneut überrascht. So begreift Lambert schließlich im letzten Drittel des Romans, dass er handeln muss, um die Umsetzung der Umsturzpläne von Monsieur de l’Aubépine aufzuhalten und somit seine alte Ordnung der Welt zu verteidigen. Am Ende hat das moralisch bedenkliche Handeln des Wildhüters jedoch gravierende Konsequenzen für sein weiteres Leben, die es selbst zu erkunden gilt.
François Vallejo, Professor für Altphilologie, ein vielfach preisgekrönter Autor, der heute in Le Havre lebt, thematisiert in seinem Roman „Monsieur Lambert und die Ordnung der Welt“ auf eine erschreckende Art und Weise die kleinen vernachlässigbaren, aber vor allem die großen menschlichen Schwächen und schreckt dabei vor nichts zurück. Detailliert schildert er also die Prägung und Entwicklung der dunklen Psyche des düsteren Barons im Verlauf der Geschichte und stellt somit auch die ausgefallenen sexuellen, teils sadistischen Vorlieben des Schlossherrn dar, die sich in einem Satz zusammenfassen lassen: „Und da wird gefoltert aus purer Lust“.
Ebenso seltsam, aber genial wie dieser französische Bestseller selbst ist auch sein Erzählstil. „Ouest“, so lautet der französische Originaltitel, schickt den Leser auf eine Zeitreise unter Beteiligung eines Erzählers, der zu Beginn der Geschichte in Erster Person Singular durch ein paar einführende Worte Informationen über sich selbst preisgibt, sich jedoch schon nach kurzer Zeit zurückzieht. Es folgen nun verschiedene, sich abwechselnde personale Erzählperspektiven der einzelnen Figuren. Besonders auffällig ist es, dass Anführungszeichen in diesem Werk nicht existieren, was zwar gelegentlich zu Verwirrung führt, jedoch auch zu einem fließenden Übergang von unterschiedlichen variierenden Formen der Rede beiträgt. So entstehen plötzliche Gedankensprünge und ganze Assoziationsketten, die der Leser zunächst bewusst gar nicht wahrzunehmen vermag. Und selbst angesichts der Dramatik dieser Geschichte schafft es der Autor, auf eine Art und Weise zu erzählen, die uns nebenbei noch köstlich amüsiert. So schreit der verrückt gewordene Baron in seinem Irrsinn die wahnwitzigen Worte „Ich hasse Schlösser. Ich hasse Schlossherren. Ihr alle haltet mich für einen Schlossherrn“, um nur ein Beispiel zu nennen.
Ohne es zu merken, wird der Leser in einen Strudel aus miteinander verwobenen Ereignissen gerissen, registriert erst, wo er sich befindet, wenn er während des Lesens einmal kräftig durchatmen muss. Denn so fesselnd ist dieser Roman, aus dem Französischen meisterhaft von Christel Gersch übersetzt und mit dem ‚Prix du livre inter 2007‘ ausgezeichnet, geschrieben, dass er einen nicht mehr losläss
Literaturangabe:
VALLEJO, FRANÇOIS: Monsieur Lambert und die Ordnung der Welt. Aus dem Französischen von Christel Gersch. Aufbau Verlag, Berlin 2008. 253 S., 19,95 €.
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