Werbung

Werbung

Werbung

Frankfurt erinnert an Valentin Senger

Valentin Senger hat die Nazi-Zeit in einem Frankfurter Hinterhof überlebt

© Die Berliner Literaturkritik, 20.04.10

Von Thomas Maier

Anne Franks Tagebuch kennt die ganze Welt. Die unglaubliche Geschichte von Valentin Senger, der als Jude die Nazi-Zeit in einem Frankfurter Hinterhof verbrachte, ist weit unbekannter. Dabei ist Sengers Buch ebenfalls tief berührend und zugleich faszinierend. Anders als Anne Franks Familie, die ursprünglich auch aus Frankfurt stammte und 1944 im Amsterdamer Hinterhofversteck an die Gestapo verraten wurde, haben die Sengers dank gefälschter Papiere überlebt.

In einer für Frankfurt beispiellosen Aktion will die Stadt nun Sengers autobiografischen Roman „Kaiserhofstraße 12“ breitenwirksam präsentieren. „Frankfurt liest ein Buch“ heißt das Projekt, das mit viel Prominenz am Mittwochabend (21.4.) startet. Bis 9. Mai sind drei Wochen lang fast 200 Veranstaltungen geplant. Dazu gehören neben Lesungen auch Theaterstücke und Stadtführungen. Zum Finale hat sich die Schauspielerin Iris Berben angesagt, die sich für die Aussöhnung zwischen Deutschland und Israel stark engagiert hat.

Anders als Anne Frank entstammt der 1918 geborene Senger nicht einer bürgerlich-jüdischen Familie, sondern der Arbeiterklasse. Er wächst als Sohn russisch-jüdischer Eltern, die den Kommunisten nahestehen, in einer kleinen Straße der Frankfurter Innenstadt auf. Wie er und seine Familie es geschafft haben, die zwölfjährige Naziherrschaft und den Holocaust zu überleben, hat er erst Jahre nach dem Kriegsende niedergeschrieben.

Trotz der Dramatik schildert Senger diesen Kampf ums Dasein mit fast trockenem Humor, sehr farbig und mit Liebe fürs Detail. Nur mit Hilfe von Freunden, Nachbarn und mutigen Behördenmitarbeitern wie zum Beispiel einem Polizisten sowie einer großen Portion Glück kann sich die mit falscher Identität lebende Familie retten. Als das Buch 1978 im Luchterhand Verlag erscheint, wird es auch international ein Erfolg. Doch danach geriet es fast in Vergessenheit - auch weil es vergriffen war.

„Kein Buch ist für eine solche Aktion in Frankfurt besser geeignet als Sengers Roman“, sagt der Frankfurter Verleger Klaus Schöffling, der das Buch neu aufgelegt hat. Da der Roman an noch bestehenden Straßen und Plätzen spielt, erhält der Leser leicht Zugang zum Thema. Zugleich ermöglicht das Werk auch eine Chance zur Wiederaufarbeitung der lokalen Geschichte. Denn in kaum einer anderen deutschen Kommune haben die Juden eine so bedeutende Rolle gespielt wie in Frankfurt. In keiner anderen Großstadt war ihr Anteil an der Bevölkerung - prozentual gesehen - so hoch.

Nachdem Schöffling sich die Rechte für eine Neuauflage gesichert hatte, gelang es ihm, die Verantwortlichen der Stadt Frankfurt für das Projekt zu gewinnen. „Wir rannten offene Türen ein“, sagt der Verleger. Ursprünglich kommt die Idee für „One City, one Book“ (Eine Stadt, ein Buch) aus Chicago. Die Aktion wurde dann auch in deutschen Städten wie Mainz, Hamburg oder Köln mit Erfolg umgesetzt.

Beim Auftakt zum Lesefest in der Deutschen Nationalbibliothek sind am Mittwochabend prominente Frankfurter Autoren dabei, darunter Alissa Walser, Susanne Fröhlich und Peter Härtling, der das Nachwort zur Neuauflage verfasst hat. „In diesem Buch erzählt ein Davongekommener von einem Wunder, ohne sich zu wundern“, fasst Härtling Sengers Buch treffend zusammen.

Auch Valentin Sengers Frau Irmgard engagiert sich stark für die Aktion. Der Autor selbst ist 1997 gestorben. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Senger Journalist geworden. Er war auch der KPD beigetreten, brach aber dann mit dem Kommunismus. Zuletzt arbeitete er für den Hessischen Rundfunk. Nach seinem Erstling von 1978 hat Senger weitere Bücher veröffentlicht - doch „Kaiserhofstraße 12“ blieb sein größter Erfolg. In der Bundesrepublik musste er zwar nicht mehr ums Überleben kämpfen, dafür aber um die Staatsbürgerschaft. Diese wurde Senger wegen seiner kommunistischen Vergangenheit bis zum Jahr 1981 verwehrt.

Literaturangabe:

SENGER, VALENTIN: Kaiserhofstraße 12. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2010. 320 S., 19,90 €.

Weblinks:

Schöffling Verlag

Frankfurt liest ein Buch


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: