Von Wilfried Mommert
Klaus Wagenbach schaffte es als Lektor, Günter Grass mehrere Kapitel der „Hundejahre“ wieder auszureden. Das hinderte den späteren Literaturnobelpreisträger aber nicht daran, in den 60er Jahren tatkräftig mitzuhelfen, als Wagenbach seinen eigenen Verlag gründete. Gesucht wurde auch der richtige Standort für den neuen Verlag. Der Beginn dieser „Bücherfreundschaft“ gehört zu den frühen Wegmarken des Verlegers, die er in seinem Buch „Die Freiheit des Verlegers – Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe“ beschreibt.
Natürlich war auch Grass, mit dem es zwischenzeitlich durchaus Meinungsverschiedenheiten gab, bei der ersten Buchvorstellung Wagenbachs in diesen Tagen im Berliner Ensemble wieder dabei. Das Buch ist zum 80. Geburtstag des Berliner Verlegers (11.7.) erschienen.
Der Danziger Grass zog damals nach West-Berlin, wo er im bürgerlichen Ortsteil Friedenau ein kleines literarisches Begegnungszentrum schuf. Der geborene Berliner und zeitweilige Wahl-Frankfurter Wagenbach suchte Mitte der 60er Jahre nach dem richtigen Standort für seinen neuen Verlag. „West-Berlin entwickelte einen maroden Charme, der auch viele Schriftsteller anzog – Günter Grass zog nach Berlin, Uwe Johnson, Christoph Meckel, Ernst Schnabel, Reinhard Lettau, Hans Magnus Enzensberger und viele andere“, erinnert sich Wagenbach. Walter Höllerer („Gruppe 47“) war Professor in Berlin, aber der Blick ging auch in den Ostteil der Stadt zu Autoren wie Stephan Hermlin, Günter Kunert, Wolf Biermann und Volker Braun.
„Für mich war das eine attraktive Mischung, da ich ohnehin eine Art gesamtdeutschen Verlag im Kopf hatte“, schreibt Wagenbach rückblickend. „Daß West-Berlin mit seinem besonders hysterischen Antikommunismus“ (nach dem Mauerbau 1961) „kein allzu günstiger Standort war, wurde mir erst später klar.“ Denn auch mit der östlichen Seite legte sich Wagenbach bald an, als er den in der DDR mit Berufsverbot belegten Wolf Biermann publizierte – fortan galt Einreiseverbot für Wagenbach. Nicht einmal die Transitautobahn zwischen West-Berlin und Westdeutschland durch die DDR konnte er noch benutzen.
Was Wagenbach als Jungverleger und Grass als Autor verband, lässt sich vielleicht aus einer Erklärung des Verlegers herauslesen, warum er seinen Beruf mit Leidenschaft ausübt. „Da wird einem ein ordentliches, leicht gelangweiltes, ziemlich unsinnliches, eher puritanisches Volk mit kräftig gestörter nationaler Identität sozusagen in den Schoß gelegt und man erhält als Intellektueller den Widerpart zugesprochen.“ Ein Mann, der Namen wie Pasolini, Wolf Biermann, Erich Fried und Franz Kafka im Verlagsprogramm hatte, spielte den Widerpart denn auch kräftig aus.
Sein jetziger Sammelband, der auch als Resümee eines langen Verlegerlebens zu lesen ist und dabei interessante Innenansichten in die Welt der Kleinverlage gibt, ist auch über weite Strecken ein spannend zu lesendes Tagebuch wildbewegter Jahre der politisch-literarischen Bundesrepublik. Das Tagebuch dokumentiert das humanistische Engagement des Verlegers ebenso wie so manche Verirrungen des „Anarchisten“, wie sich Wagenbach zeitweise selbst sah, wie etwa seine Grabrede auf Ulrike Meinhof („Was Ulrike Meinhof umgebracht hat waren die deutschen Verhältnisse“).
„Genosse Wagenbach“, der einige Kämpfe mit den seinerzeit voll im Trend der 68er-Bewegung liegenden Kollektiven in seinem Verlag (bis hin zur Aufspaltung des Betriebes zum „Rotbuch“) auszustehen hatte, zieht eine eher nüchterne Bilanz zum Thema der Beziehungen von Geist und Macht und Institutionen: „Ende der 70er Jahre waren die Genossen in den Institutionen, wo sie immer hinwollten, und die meisten hörten schlagartig auf zu lesen. Das ist eine bittere Erfahrung für einen Verleger.“
Aber auch die Machtkämpfe in der Buchbranche selbst sieht Wagenbach kulturkritisch: „Auf geistigem Gebiet hat diese Jagd nach der großen Auflage und den fetten Profiten katastrophale Folgen. Denn das Neue kommt seit jeher auf leisen Sohlen“, nur „Dreck verkauft sich immer“. Sein eigenes Buch belegt, warum „ein vergleichsweise lächerlich kleiner Verlag mit einem ziemlich kompromisslosen Programm überlebt hat“, bald nun ein halbes Jahrhundert schon. Dazu gehört auch Wagenbachs Warnung: „Früher hielt sich der Verleger einen Kaufmann, heute kauft sich der Kaufmann einen Verleger, der erst nach einer Schon- und Schamfrist gefeuert wird, weil er keine Rendite im Kopf hat, sondern ein Profil.“
Literaturangabe:
WAGENBACH, KLAUS: Die Freiheit des Verlegers. Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010, 350 S., 19,90 €.
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