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„Fremdland“: Der Kriegsreporter James Meek erzählt vom Taliban-Ende

James Meeks Roman „Fremdland“

© Die Berliner Literaturkritik, 11.09.08

 

Von Wolf von Dewitz

Die Konflikte im Mittleren Osten und Zentralasien sind in den Medien allgegenwärtig. Die Literatur hingegen hat die Kriege nach dem 11. September 2001 kaum aufgenommen. Åsne Seierstad gelang in „Der Buchhändler von Kabul“ (2006) die Nahaufnahme einer afghanischen Familie. Das geschah reportageähnlich mit Blick auf die Tatsachen. Von Romanciers wurde der Fall der Taliban jedoch gemieden.

Es schien, als müssten die Bilder aus dem befreiten Kabul erst im medialen Gedächtnis verblassen, bevor das Thema für die Fiktion frei wird. Nun hat der britische Autor James Meek das Ende der selbsternannten Gotteskrieger in seinem Roman „Fremdland“ verarbeitet. Dabei bleibt er in direkter Nähe zum Journalismus: Sein Protagonist ist ein Kriegsreporter, dessen Leben unter den Eindrücken der Fronterlebnisse aus den Fugen gerät. Zwischen Autor und Romanfigur sollte scharf getrennt werden. Dieser Grundsatz der Literaturkritik scheint in „Fremdland“ allerdings kaum möglich. Zu dicht ist der Protagonist, der englische Reporter Adam Kellas, mit seinem Erfinder verwoben. James Meek war in den 1990er Jahren Korrespondent des „Guardian“ in Osteuropa, nach dem 11. September wurde er nach Afghanistan, später in den Irak geschickt. Aus seinen Einblicken vor Ort schlug er schon einmal belletristisches Kapital. „Die einsamen Schrecken der Liebe“ spielte in den russischen Revolutionswirren nach 1917. Der Roman kam auf die Nominierungsliste des renommierten „Man Booker“-Preises. Derzeit ist in Hollywood eine Verfilmung mit Johnny Depp in Planung.

„Fremdland“ erzählt erneut von der Liebe – oder, besser gesagt, von ihrer Unmöglichkeit im Krieg. Die Hauptfigur beginnt eine Affäre mit einer amerikanischen Journalistin. Als sie verschwindet, folgt er ihr, reist nach London und später in die USA. Doch dem afghanischen „Fremdland“, dessen Seen ihm blutrot und dessen Oberfläche „mit Bomben tätowiert“ erscheinen, entkommt er nicht. Die Gewalt, deren Zeuge er wurde, hat er längst verinnerlicht.

Meek bleibt auch als Romancier in der Außen-Perspektive des Reporters. Innere Einblicke in die geschundene Seele Afghanistans wagt er nicht. Fast erscheint der gewählte Kriegsschauplatz beliebig, tauchen Einheimische doch nur als eindimensionale Randfiguren auf. Bisweilen schwingt der erhobene Zeigefinger des westlichen Beobachters mit: So ist bei einem Pistolen-Wettschießen eine Frau besser als afghanische Männer. Das wirkt wie ein lehrreicher Kommentar auf die Rolle der Frau in einer islamischen Gesellschaft. Auch sind manche Bilder der Kitschkiste entnommen: Bei der ersten Begegnung mit seiner späteren Geliebten erkennt Kellas ihre Silhouette am Sternenhimmel.

Dennoch ist „Fremdland“ ein packender, gut lesbarer Roman, in dem das Dreiecksverhältnis von Liebe, Macht und Gewalt in mehreren Nebenhandlungen variiert wird. Stellenweise ist er ein kritischer Kommentar auf die klischeebelastete westliche Sicht auf den Mittleren Osten und Zentralasien.

Inhaltlich sind die ambitionierten Ziele des Autors spürbar: Als Mise-en-Abyme, also als textinterne Spiegelung, schreiben zwei seiner Protagonisten Romane. Das Buchschreiben geht damit als Handlungsthema mit der Lektüre des Lesers einher. Kellas will mit einem reißerischen Actionbestseller von ballernden Amerikanern und edlen Europäern Geld machen. Dieser ironischen Schwarz-Weiß-Zeichnung setzt der Autor in der Haupthandlung Grautöne entgegen, ein graues „Fremdland“, in dem alle von Krieg betroffenen Menschen die Orientierung verlieren und zu versinken drohen.

Literaturangaben:
MEEK, JAMES: Fremdland. Fahrenheit Verlag, München 2008. 335 S., 19,90 €.

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