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French lässt niemanden „Sterbenskalt“

Der neue Krimi der irischen Autorin besticht durch psychologische Tiefe

© Die Berliner Literaturkritik, 30.01.11

French, Tana: Sterbenskalt, Scherz Verlag, Frankfurt 2010, 608 S., 16,95 €, ISBN 978-3-5021-0216-8.

Von Susanna Gilbert-Sättele

«Ich schreibe in der ersten Person ­ man sieht alles durch die Augen des Erzählers», sagte die irische Krimiautorin Tana French einmal in einem Interview. Diese Erzählperspektive ist eine ihrer Stärken, zumal es ihr überzeugend gelingt, aus dieser Sicht eine differenzierte und psychologisch glaubwürdige Geschichte zu erzählen. Im neuen Krimi «Sterbenskalt» steht der verdeckte Ermittler Frank Mackey im Zentrum des Geschehens. Er ist ein aufrechter und knallharter Polizist, dessen Herz allein Tochter Holly erweichen kann.

Frank wird von seiner Vergangenheit eingeholt, als ihn ein Anruf seiner Schwester erreicht, der ihn zurück in die Familie treibt. Bei Nacht und Nebel war er als junger Mann aus seinem Elternhaus in Dublin abgehauen. Gemeinsam mit seiner Jugendliebe Rosie wollte er damals, vor 22 Jahren, der Trostlosigkeit seines Viertels entfliehen. Als das Mädchen am verabredeten Ort nicht aufgetaucht war, hatte Frank geglaubt, von ihr versetzt worden zu sein. Wie alle anderen war er überzeugt, dass Rosie ohne ihn zu einem neuen Leben in England aufgebrochen war. Doch nun hat man einen Koffer mit ihren Armseligkeiten gefunden, und Frank glaubt es ihr schuldig zu sein, herauszufinden, was aus ihr geworden ist.

Also kehrt er zurück nach Faithful Place, einer Sackgasse in einer öden Gegend Dublins, kehrt zurück zu seinem Alki-Vater, seiner ruppigen Mutter, den Brüdern Shay und Kevin sowie den Schwestern, die mittlerweile eigene Familien haben. Unbeeindruckt von dem nicht gerade herzlichen Empfang beginnt er zu ermitteln, und bald holt er Rosies sterbliche Überreste aus ihrem Betongrab in einem Abbruchhaus ans Tageslicht. Mit unbeirrter Zähigkeit setzt Frank sich auf die Spur des Mörders, ohne zunächst zu ahnen, dass er ihm ganz nah ist.

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Auf fast 600 Seiten entführt French ihre Leser in ein Milieu der Enge und des Mangels. Da blickt einer zurück, der es geschafft hat, dem emotional wie materiell ärmlichen Elternhaus rechtzeitig den Rücken zu kehren. Frank sieht genau hin und in seiner Familie Karl Marx’ These bestätigt, dass das Sein das Bewusstsein prägt. Franks psychologischen Erkenntnisprozess mit zu verfolgen, die Aufdeckung des Mordes wie seine endgültige Abnabelung von der Familie, in die er hinein geboren wurde, ist höchst fesselnd. French beweist, dass keine Splatter-Orgien nötig sind, um Spannung zu erzeugen. Es gebe für sie keinen Anlass, «dick mit Blut und Eingeweiden aufzutragen», formulierte sie einmal. Der Erfolg gibt ihr recht: Nach «Grabesgrün» und «Totengleich» wird auch «Sterbenskalt» viele Leser finden.


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