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Friedenspreisträger Kiefer: Ruinen sind der Beginn von etwas Neuem

Literatur sei Inspiration seiner Malerei und Bildhauerkunst

© Die Berliner Literaturkritik, 17.10.08

 

Von Sandra Trauner

FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Als Botschafter des Ruinösen hat man ihn bezeichnet, als Maler der Verwüstung, als Archäologe der Trauer. Das Werk des Malers und Bildhauers Anselm Kiefer entzieht sich der platten Beschreibung. Seine monumentalen Gemälde bestehen nicht nur aus Farbe und Leinwand, sondern auch aus Kohle und Sand, Stroh und Holz, Asche und Teer und manchmal auch aus Stacheldraht. Statt lediglich mit Pinsel und Spachtel bearbeitet er die dick aufgetragenen Farbschichten auch mal mit der Axt. Seine riesigen Skulpturen fertigt er aus tonnenschwerem Blei, Beton und Eisen.

Dass Kiefer an diesem Sonntag (19. Oktober) mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird, hat er wohl nicht unwesentlich einem Werk aus dem Jahr 1991 zu verdanken. Unter dem Titel „Volkszählung“ erschuf er eine Bibliothek aus riesigen bleiernen Büchern. „Er hat das Buch selbst, die Form des Buches, zu einem entscheidenden Ausdrucksträger gemacht“, befand die Jury im Juni. „Gegen den Defätismus, der Buch und Lesen eine Zukunft abzusprechen wagt, erscheinen seine monumentalen Folianten aus Blei als Schutzschilde.“

Als Schutzschild vor der braunen Vergangenheit malte er in den 70er Jahren Selbstporträts mit zum Hitlergruß erhobenem Arm. Eine Provokation, die ihn berühmt machte, aber auch den Verdacht zweifelhafter Heldenverehrung einbrachte. „Ich wollte das Unvorstellbare in mir selbst abbilden“, begründete er später diese Serie. Das „Schöne Wahre Gute“ war seine Sache nie, seine Themen sind so schwer wie die Materialien, in denen er sie umsetzt. Sie entstammen Geschichte und Mythologie, Religion und Mystik, heißen „Hermannschlacht“ und „Parsifal“, „Die Ordnung der Engel“ und „Jakobs Traum“, „Die Milchstraße“ und „Geburt der Sonne“, „Isis und Osiris“ oder „Argonauten“.

„Ich bin mir voll bewusst, dass etwas über mir steht, wo ich nicht hinreiche“, sagte Kiefer am Freitag (17. Oktober) auf der Frankfurter Buchmesse. Einer Religionsgemeinschaft fühle er sich dennoch nicht zugehörig. Obwohl sein Werk von einer düsteren Grundstimmung geprägt ist, sieht Kiefer sich nicht als Maler der Zerstörung. „Trümmer sind nichts Negatives“, erklärte er der internationalen Presse. Ruinen symbolisierten weniger den Verfall als den Beginn von etwas Neuem.

In Deutschland neige man dazu, Trümmer zu schnell wegzuräumen, sagte der Maler. Seinem Heimatland hat er schon lang den Rücken gekehrt. Seit 1992 lebt Kiefer, der 1945 als Sohn eines Zeichenlehrers in Donaueschingen (Baden-Württemberg) geboren wurde, in Frankreich. In „La Ribaute“ nahe Barjac baute er einen riesigen Kunstpark aus Türmen, Tunneln, Häusern und Hangars als Wohnhaus, Museum, Depot und Atelier. Gerade allerdings zieht er nach Paris um.

Dass er mit leichtem Gepäck reist, ist nicht anzunehmen. „Ich bin manchmal neidisch auf Schriftsteller“, gestand Kiefer. Die brauchten kein Material und kein Atelier, nur Block und Stift. Früher wollte Kiefer selbst Autor werden, bis heute schreibt er fast täglich, ohne je etwas zu veröffentlichen. Sein erstes Buch habe er mit neun Jahren geschrieben und illustriert. „Ich gab ihm die Nummer 42 – ich wusste, ich komme von weit her“. Zu den Autoren, die ihn geprägt haben, zählt er Louis-Ferdinand Céline, Adalbert Stifter und Christoph Ransmayr, der seinem Freund Kiefer in „Der Ungeborene“ ein literarisches Denkmal gesetzt hat.

Kiefers Werk sei stark von der Literatur geprägt, fand auch die Friedenspreis-Jury: Kiefer sei es gelungen, „eine Bildsprache zu entwickeln, die aus dem Betrachter einen Leser macht“, heißt es in der Begründung. Die Frage, was seine Kunst zum Frieden beigetragen habe, beantwortete der entspannt und sympathisch wirkende 63-Jährige am Freitag (17. Oktober) nicht. Frieden ist für ihn ohnehin kein dauerhafter Zustand: „Es gibt keinen endgültigen Frieden. Frieden ist eine Utopie, etwas Unerreichbares.“ Er müsse täglich im eigenen Kopf neu erschaffen werden. „Frieden ist ein Kampf.“


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