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Fünf Werke in einer Sammelrezension

Neues von Starr, Ewing, Cotterill, Kempowski und Machado de Assis

© Die Berliner Literaturkritik, 23.07.09

Wenn Liebe zum Wahn wird: „Stalking“

Jason Starrs männliche Romanhelden haben immer einen Hang zum Bösen, Extremen, wecken selten Empathie. Eine solche Figur ist auch der Protagonist im neuesten Werk des Autors, „Stalking“. Peter hat sich Katie als Opfer ausgesucht, eine junge Frau, die ihren ersten Job in New York antritt, sich mit Andy den falschen Freund ausgesucht hat, der auf eine kurze Affäre aus ist, während sie vom lebenslangen Glück träumt. Peter scheint Trost zu verheißen, erschienen aus dem Nichts, ein ehemaliger Freund ihrer verstorbenen Schwester und so vermeintlich vertrauenswürdig. Der am Anfang so herzliche und hilfsbereite Peter wird immer aufdringlicher, seine Reaktionen auf ihre ablehnende Haltung immer heftiger. Langsam dämmert Katie, dass dieser Mann nicht zufällig in ihrem Leben aufgetaucht ist, sondern sie gezielt aufgespürt hat. Für ihn ist Katie die Frau seines Lebens, die er unter keinen Umständen mehr aufgeben wird. Die Bekanntschaft mit diesem Obsessiven wird für Katie zum Alptraum. Und im Hintergrund ermittelt die Polizei, die aus ganz anderen Gründen hinter ihm her ist.

Magische Hände: „Die Seelenheilerin“

„The Mesmerist“ lautet der Originaltitel des Buches der neuseeländischen Autorin Barbara Ewing. Handauflegen und Umkreisen bestimmter Zonen sollen die Energien im Körper wieder frei fließen lassen, so die Kurzfassung der Lehre vom Mesmerismus. Der Glaube an die heilende Wirkung dieser Vorform der modernen Hypnose ist der Aufhänger des Romans und bringt die bettelarmen Schauspielerinnen Rillie und Cordelia auf eine zündende Geschäftsidee: Sie eröffnen ein Hypnosestudio und nutzen ihre schauspielerischen Fähigkeiten dazu, ihren leidenden Kunden wieder auf die Beine zu helfen. Verblüfft stellt Cordelia fest, dass sie tatsächlich über „heilende Hände“ verfügt. Aber ihr Tun bleibt nicht ohne Auswirkung auf sie selbst. Je mehr sie im London des 19. Jahrhunderts zum Tagesgespräch wird, umso mehr führt ihre Gabe die junge Frau in ihre eigene dunkle Vergangenheit zurück.

Pathologenkrimi aus Südost-Asien: „Dr. Siri sieht Gespenster“

Im kommunistischen Laos der 1970er Jahre lebt Dr. Siri als einziger Pathologe des Landes. Im zweiten Fall des Gerichtsmediziners, „Dr. Siri sieht Gespenster“, hat er es mit merkwürdigen Todesfällen zu tun: Da wird zunächst die Obstverkäuferin zerfetzt und zerfleischt aufgefunden. Es stellt sich die Frage, ob dies das Werk eines Bären oder eines Wer-Tigers (dem asiatischen Pendant zum Werwolf) war. Weitere Frauen mit ähnlichen Verletzungen landen bei Dr. Siri. Völlig rätselhaft wird die Sache, als auch noch zwei Männer auf einem verbeulten Fahrrad inmitten der Hauptstadt zu Tode kommen. Ob und wie diese mysteriösen Todesfälle zusammenhängen, klärt der gewiefte Arzt mit seinem schon aus seinem ersten Roman bewährten Team auf — mit Mr. Geung, der ihm trotz seines leichten Down-Syndroms eine unschätzbare Stütze ist, und der ambitionierten Schwester Dtui. Der Plot des Krimis von Autor Colin Cotterill ist skurril und stimmig zugleich, seine Figuren einmalig, zum Lachen komisch und liebenswert.

Schlussakkord eines Lebenswerks: „Langmut“

Zwei Jahre nach dem Tod von Walter Kempowski wurde jetzt — seinem Wunsch entsprechend — zu seinem 80. Geburtstag im April das schmale, aber feine Gedichtbändchen „Langmut“ veröffentlicht. Damit schließt sich der Schaffenskreis dieses bedeutenden Autors, der mit „Im Block“ die Erfahrungen und Eindrücke seiner Inhaftierung durch das DDR-Regime zu Papier brachte und mit seinen Gedichten vielfältigen Gedanken und Gefühlen lyrisch Ausdruck verlieh. „Ich glaubte immer, dass ich nie ein Gedicht schreiben werde, und doch stieß mir die Stimme, wie Rilke sagt, eines Tages im Mund auf.“ Die leisen, kurzen Texte legen eindrucksvoll und tief berührend Zeugnis von den innersten Gefühlen des Menschen Kempowski ab. Seine Fähigkeit, diesen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, ließen ihn die Krisen des Lebens überstehen. Geblieben ist, dass sein gesamtes schriftstellerisches Lebenswerk von Düsternis und Schwere geprägt war.

Brasilianischer Klassiker nach hundert Jahren nun auf Deutsch

Joaquim Maria Machado de Assis war eine der erstaunlichsten Gestalten der lateinamerikanischen Literatur. In ärmsten Verhältnissen 1839 in Rio de Janeiro geboren, avancierte der Autodidakt zum hochgebildeten Gelehrten und größten Schriftsteller seines Landes. In seinen Romanen malte der Brasilianer ein Bild des menschlichen Lebens und mischte dabei Elemente seiner Heimat mit Motiven der Weltliteratur. Kurz vor seinem Tod 1908 schrieb er „Tagebuch des Abschieds“, das jetzt erstmals auf Deutsch erschienen ist. Von dem Berliner Professor Berthold Zilly meisterhaft übersetzt, reflektiert der Roman Machados herbstliche Überlegungen zu Liebe, Alter und Tod. Er ist durchzogen vom Klang der „saudade“, jener für die portugiesischsprachige Welt so typischen Stimmung zwischen Wehmut, Sehnsucht und Abschiedsschmerz.

Literaturangaben:

STARR, JASON: Stalking. Diogenes Verlag, Zürich 2009. 528 S., 11,90 €.

EWING, BARBARA: Die Seelenheilerin. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009. 512 S., 9,95 €.

COTTERILL, COLIN: Dr. Siri sieht Gespenster. Goldmann Verlag, München 2009. 320 S., 17,95 €.

KEMPOWSKI, WALTER: Langmut. Gedichte. Knaus Verlag, München 2009. 84 S., 16,00 €.

MACHADO DE ASSIS, JOAQUIM MARIA: Tagebuch des Abschieds. Friedenauer Presse, Berlin 2009. 231 S., 22,50 €.

Weblinks:

Diogenes Verlag / Rowohlt Verlag / Goldmann Verlag / Knaus Verlag /

Friedenauer Presse


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