FRANKFURT/MAIN (BLK) – Der Briefwechsel von Hans Magnus Enzensberger und Uwe Johnson ist unter dem Titel „fuer Zwecke der brutalen Verstaendigung“ im Oktober 2009 vom Suhrkamp Verlag herausgegeben worden.
Klappentext: 1959, kurz nach Uwe Johnsons Übersiedelung in den Westen Berlins und der Veröffentlichung seines Debütromans „Mutmassungen über Jakob“, beginnen der Briefwechsel und die Freundschaft zwischen ihm und Hans Magnus Enzensberger. Über einen Zeitraum von acht Jahren verständigen sie sich über die literarische und politische Lage und diskutieren die Spielräume politischen Engagements. Zugleich aber zeugen die 161 Dokumente von einer Auseinandersetzung über Möglichkeiten und Grenzen von Freundschaft. Bereits im Oktober 1966 forderte Uwe Johnson, den gemeinsamen Briefwechsel „nicht mehr für eine künftige Edition und Altersversorgung einzurichten sondern für Zwecke der brutalen Verständigung“. Über scheinbar Alltäglichem kommt es zu prinzipiellen Betrachtungen und zuletzt zu einem Zerwürfnis: Dass Uwe Johnson seine Berliner Wohnungen Enzensbergers erster Frau Dagrun und dessen Bruder Ulrich zur Verfügung stellt, führt in Aporien von Vertrauen, Bürgschaft und Verantwortung.
Hans Magnus Enzensberger, geboren 1929 in Kaufbeuren, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie. Der Schriftsteller, Herausgeber, Übersetzer und Redakteur lebt heute in München. Seit einiger Zeit schreibt der Autor auch erfolgreich Kinder- und Jugendbücher, u.a. „Der Zahlenteufel“. 1963 erhielt Enzensberger den Georg-Büchner-Preis. Uwe Johnson wurde 1934 in Kammin/Vorpommern geboren. Zum Erscheinen seines Romans „Mutmassungen über Jakob“ 1959 zog Johnson, der Germanistik studiert hatte, nach Westberlin. Von 1966 bis 1968 lebte er mit seiner Familie in New York. Später zog Johnson nach Sheerness in England, wo er 1984 starb. Er war u.a. Preisträger des Fontane-Preises und des Georg-Büchner-Preises. (kum)
Leseprobe:
©Suhrkamp Verlag©
1 Uwe Johnson an Hans Magnus Enzensberger,
Berlin-Friedenau, 23. Dezember 1959
Uwe Johnson
231259
Lieber Herr Enzensberger,
ich war nahe daran dem SPIEGEL (einem deutschen Nachrichten- Magazin) eins zu schreiben, die Spalten mit Reklame waren schon ausgezählt, da sagte einer das hätten Sie schon längst angefangen. Die Angaben sind aber ungenau, ich kann es nicht finden. Darf ich Sie bitten, mir die Analyse und das SPIEGELheft mit dem Gespräch einmal leihweise zu überlassen? Sie sollen es pünktlich zurückbekommen. Überhaupt rätsele ich an Ihrem Leumund herum (»Enzensberger, und Genossen …«), und es würde mich freuen wenn Sie mir auch die hier einschlägigen Texte leihen wollen: lieber lasse ich es mir von Ihnen erklären. Ich hätte Sie gerne besucht, als Sie noch in Italien waren; es liess sich gar nicht einrichten.
Mit herzlichen Grüssen
(Berlin Friedenau
Schliessfach11)
2 Hans Magnus Enzensberger an Uwe Johnson,
Frankfurt am Main, 30. Dezember 1959
enzensberger, westendstraße 88, frankfurt/main, tel: 774275,
30-12-1959
lieber herr johnson
den gewünschten text sende ich ihnen ohne kommentar, funkfassung und verstümmelten abdruck; bin gespannt wassie sagen. wer meine genossen sind wüßte ich selber gern, wäre ja zuweilen nicht schlecht welche zu haben. Vielleicht sind nur meine freunde gemeint.
die wände sind angestrichen, es gibt auch stühle, die darauf warten daß sie sich bald einmal darauf hinsetzen. Margarita caetani, die in rom eine zeitschrift ›botteghe oscure‹ herausgibt, bittet mich um beiträge. wenn sie etwas haben, wäre ich froh darum. die zeitschrift ist fünfsprachig, etwas snobistisch, aber wichtig. man zahlt ziemlich viel.
gehen sie lieber nicht in die villa massimo! herzliche grüße
hmenzensberger
texte separat
3 Uwe Johnson an Hans Magnus Enzensberger,
[Berlin-Friedenau], 4. Januar 1960
Uwe Johnson
4160
Lieber Herr Enzensberger,
bei unserem Gespräch am Freitagabend vergass ich die übliche Schlussformel des Angerufenen, ich sage sie nie: ich bedanke mich für den Anruf.
An Ihrem Text über die Sprache des Nachrichtenmagazins, den ich also richtig bekommen habe, gefällt mir die Durchführung ganz; abgesehen von Einzelheiten der Technik oder etwa Ihrer Definition von Stil hätte ich auch so verfahren wollen. Was ich hinzufüge als Frage ist kein Einwand sieht aber so aus:
der letzte Satz (›es spricht gegen unsere Presse insgesamt, gegen den Zustand unserer Gesellschaft: es spricht mit einem Wort gegen uns‹) kommt mir zu schwer vor. Da der Text durchaus auf ein rein analytisches Benehmen sieht, schiene mir als Schlusswort das von Adornos Kulturkritik passender: „fortzusetzen“, wenn auch ohne Klammer und Wechsel des Schriftgrades. Nachdem Sie diesen Geschichten-Erzählern eine schamhafte bürgerliche Anständigkeit als Intention belassen haben, kann der vorwurfsvolle Ton nicht gegen sie gerichtet sein sondern nur gegen den Zustand der Gesellschaft, der so merkwürdige Smartheit erfordert; von wo aus aber wird da gegen diesen Zustand gesprochen? Allmählich wird es Ihnen sehr bekannt vorkommen: ich glaube dass mit einem solchen Ton die Analyse einen neuen Anfang bekäme; da sie mit ihm endet, deutet sie an dass Teilverbesserungen dieses Zustands möglich wären, diese Teilverbesserungen können sich nur an den guten Willen der Beteiligten richten, gerade den haben Sie hier nicht verdächtigen mögen. Gewiss kann eine zweckmässig isolierte Analyse nicht aufhören mit der Beschreibung wie es denn sein sollte (in der Gesellschaft), Gott schütze den Süddeutschen Rundfunk; endet sie aber mit der Forderung dass es so nicht sein sollte und unterlässt die Begründung, so muss das Publikum sie geben, das Publikum hat aber den besten Willen und sagt also: warum nicht?, das sieht mit einem Fragezeichen nicht so gut aus. Entschuldigen Sie dass ich Sie langweile; Sie könnten sagen dass Sie hierauf bereits geantwortet haben.
Nebenan schicke ich Ihnen auch den Text über den Prophetenzahlfreudige Zeitschrift haben wollen. Ich weiss gar nicht um was es sich handelt; Sie werden sicherlich beurteilen können ob es überhaupt hineinpasst. Die Unverständlichkeit habe ich Ihnen angekündigt, Sie sagten fast freudig das mache Ihnen nichts aus; vielleicht wäre es in einer deutschen Zeitschrift aber doch verständlicher: da verlasse ich mich auf Sie.
Yours, Uwe Johnson
So kann ich auch fragen, übrigens:
Wann kommen denn Sie einmal nach Berlin?
4 Hans Magnus Enzensberger an Uwe Johnson,
[Frankfurt am Main], 22. Januar 1960
lieber herr johnson
vielbeschäftigt, wer das ist sollte sich immer ein wenig albern vorkommen, denke ich, aber meine umwelt ist nicht mit mir einverstanden. ich bedanke mich für ihren brief. Natürlich läuft es, was den ›spiegel‹ angeht, aufs ganze hinaus, aber ich habe eine abneigung gegen das allgemeine, weil es meist zu früh vorgebracht wird, und weil ich es vermutlich gar nicht so vorzubringen wüßte, wie das ganze es erfordert. mehr als der gegenstand interessiert mich aber, selbst jetzt noch, jahre danach, die frage: ob es richtig war, den text im ›spiegel‹ selbst abdrucken zu lassen. heute neigen die produktionsmittel, die man braucht, um kritik zu üben, dazu, die kritik zu entkräften. der spiegel-fall hat diesen sehr allgemeinen sachverhalt nur besonders deutlich gemacht. im grunde ist das aber überall so. (beispiel: im fernsehen.) es ist gut, daß sie sich mit den gesetzen dieser industrie beschäftigen, glaube ich. Ahnungslos ist man da auf eigene gefahr. außer adorno hat eigentlich nur einer etwas gescheites darüber geschrieben, nämlich günter anders (›die antiquiertheit des menschen‹, darin über rundfunk und fernsehen). was anders schreibt, ist eigentlich zwar bodenlos, weil ohne einsicht in gesellschaft. aber nicht dumm. – ich schicke ihnen einen aufsatz über taschenbücher, dumm. – ich schicke ihnen einen aufsatz über taschenbücher, der diese fragen streift, bantamgewicht, vielleicht interessiert es sie.
ich freue mich daß wir zusammen lesen sollen. ich komme wahrscheinlich am 6. februar irgendwann nachmittags nach berlin, rufe dann, versuchsweise, bei ihnen an. wir sollten uns vorher sehen, schon der details des abends wegen, aber nicht nur deshalb. ich muß am 9. früh schon nach frankfurt zurück. leben sie recht wohl.
ihr hmenzensberger
©Suhrkamp Verlag©
Literaturangabe:
ENZENSBERGER/ JOHNSON: fuer Zwecke der brutalen Verstaendigung. Der Briefwechsel. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2009. 350 S., 26, 90 €.
Weblink: