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Ein Spezialist für Gänsehaut und Gesellschaftskritik

Gerald Kershs „Ouvertüre um Mitternacht“

© Die Berliner Literaturkritik, 09.02.10

Von Axel Bussner

Er war der Chronist der gescheiterten Großstadtexistenzen. Mit seiner klaren Prosa verlieh er ihnen eine Stimme. Von 1934 bis zu seinem Tod 1968 veröffentlichte Gerald Kersh vierhundert Kurzgeschichten und 19 Romane, die sich zu seinen Lebzeiten in England gut verkauften und nicht übersetzt wurden. Sein bekanntestes Werk ist der zweimal verfilmte Noir „Night and the City“. Einmal spielte Richard Widmark, einmal Robert de Niro die Hauptrolle. Ins Deutsche übersetzt wurde „Night and the City“ erst 2002 als „Nachts in der Stadt“ in der feinen Pulp-Master-Serie.

Jetzt, sieben Jahre später, liegt mit „Ouvertüre um Mitternacht“ ein zweiter, im Original bereits 1947 erschienener Roman von Gerald Kersh vor, in dem er wieder in eine Welt entführt, die nur auf den ersten Blick vergangen ist. War es in „Nachts in der Stadt“ die Welt der Kleingangster und Boxpromoter, ist es in „Ouvertüre um Mitternacht“ die Welt der Künstler und Bohemiens. Beide Male ist es eine Welt, in der die Menschen große Pläne und oft zu wenig Geld für die Verwirklichung haben. Beide Male ist es die Welt der Glücklosen, die ihr Leben hauptsächlich in einer Kneipe verbringen. Einer Kneipe wie der beliebten „Bacchus Bar“, in der sich tagein, tagaus die gleichen Menschen treffen, über ihr Leben räsonieren und Pläne schmieden. Dass – wir schreiben das Jahr 1935 – in Deutschland Adolf Hitler regiert, ist den meisten Gästen egal. Asta Thundersley gehört nicht zu jenen. Sie tritt für die Schwachen ein und eckt mit ihrem großen Mundwerk überall an. Sie ist eine Nervensäge – mit dem Herzen auf dem richtigen Fleck.

Deshalb legt sie sich auch mit Detective Inspector Dick Turpin an. Der soll den Mörder der zehnjährigen Sonia Sabbatani finden. Sie glaubt, dass Turpin schlampig arbeitet, weil die Tote eine Jüdin war. Als Turpin sie aufs Glatteis führt, indem er sie fragt, wie sie die Ermittlungen organisieren würde, fühlt sie sich in ihrer Ehre gekränkt und beschließt den Mörder auf eigene Faust zu finden. Sie glaubt, dass der Mörder einer der Gäste des „Bacchus“ ist. Denn Sonia verließ mit einem ihr bekannten Mann die Schule. Deshalb lädt Thundersley alle „Bacchus“-Stammgäste in der irrwitzigen Hoffnung, dass der Mörder sich verraten werde, zu sich ein.

Aber der Krimiplot ist für Gerald Kersh von Anfang an nur der Aufhänger für eine Reihe von eindrücklichen Porträts von Bohemiens, die es auch heute in Berlin (und wahrscheinlich jeder westlichen Großstadt) in jeder Kneipe gibt, in der Künstler, Linke und Kiezbewohner, die den Gastraum als verlängertes Wohnzimmer betrachten, aufeinander treffen. Heute besitzen sie vielleicht ein Handy und einen Computer, aber sie unterhalten sich immer noch über die gleichen Themen: ihre Pläne, die große Politik und die vor ihrer Haustür stattfindenden Verbrechen.

Diese Menschen porträtiert Kersh mit großer Sympathie vor allem aus der Perspektive von Thundersley, die sich fragt, ob unter ihren abendlichen Mittrinkern, die alle auf den ersten Blick normale, harmlose Gesellen sind, ein perverser Mörder sitze. Diese Saat des Misstrauens beginnt immer tiefer in Thundersley zu bohren. Während Thundersley sich fragt, wem sie noch vertrauen könne, zeichnet Kersh knappe Porträts der Kneipenbesucher und, wie ein Verbrechen eine Gemeinschaft langsam zerstört. Denn die Suche nach dem Mörder ist in eine Jahre später spielende Rahmenhandlung eingebettet, in der die „Bacchus Bar“ eine verwaiste Wirtschaft ist und die inzwischen verlebte Trinkerin Catchy Asta Thundersley hasst.

 

Literaturangabe:

KERSH, GERALD: Ouvertüre um Mitternacht. Übersetzt aus dem von Ango Laina und Angelika Müller. Pulp Master, Berlin 2009. 272 S., 13,80 €.

Weblink:

Pulp Master

 

 


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