Von Axel Bussmer
Als vor zwanzig Jahren Jochen Schmidts „Gangster, Opfer, Detektive“ erschien, wurde es schnell zu einem begehrten und informativem Nachschlagewerk. Jetzt erschien die in den vergangenen Jahren immer wieder angekündigte,überarbeitete und, mit über 1100 engbedruckten Seiten, noch viel dickere Neuausgabe von „Gangster, Opfer Detektive“. Allein die Masse an Text ist erschlagend. Aber hat sie auch Klasse?
Jochen Schmidt behielt den für die Erstausgabe gewählten Aufbau bei. Es beginnt mit „Das Genre im Kreuzverhör“, einer allgemeinen Einführung in die Theorie und Elemente eines Krimis. Weiter geht’s mit „Die Klassiker und ihre Erben“ von Edgar Allan Poe hin zu jüngeren Autoren. Hier werden vor allem Autoren von Privatdetektiv- und Polizeiromanen vorgestellt. „Spezialisten und Außenseiter“ ist dann ein bunter Rundumschlag. Etliche dieser Autoren hätten auch sehr gut in das vorherige Kapitel gepasst. In „Abseits der angelsächsischen Hauptstraße“ gibt es einen Gang durch die Kriminalliteratur vom Rest der Welt. In „Geheimdienst und Politgeschäfte“ geht es um den Politthriller. Den Abschluss bildet „Aus deutschen Landen“. Hier beschäftigt Schmidt sich mit dem deutschsprachigen Krimi, der nach seiner Meinung mit den Schweizern Friedrich Glauser und Friedrich Dürrenmatt beginnt.
Auf den ersten Blick wirkt diese Struktur überzeugend.
Aber gerade diese Struktur erweist sich als ungeeignet für einfache Aktualisierungen. Denn Schmidt sortiert die Autoren nicht nur chronologisch, sondern vor allem regional. Da werden die Romane von Magdalen Nabb, Donna Leon und Michael Dibdin in einem Kapitel besprochen, weil sie alle in Italien spielen. Allerdings hören damit die Gemeinsamkeiten auf. Das gleiche gilt, wenn Andrew Vachss, Jonathan Lethem, Lawrence Block, Lawrence Sanders und Kinky Friedmann (im Inhaltsverzeichnis als „Kinky Friedmant“ falsch geschrieben) zusammen vorgestellt werden, weil ihre Geschichten in New York spielen und sie zu den „hartgesottenen Amerikanern“ (was auch bestritten werden könnte) gehören. Das gleiche Spiel wiederholt sich für die deutschsprachigen Krimiautoren, wenn Felix Huby, Ulrich Ritzel, Robert Hültner, Oliver Bottini und Andrea Maria Schenkel zusammen besprochen werden, weil ihre Geschichten in Süddeutschland spielen. Da wird dann munter in einem Kapitel hintereinander vorgestellt, was so einfach nicht zusammen gehört.
Absolut unverständlich ist Jochen Schmidts Entscheidung, die Einleitung nicht zu überarbeiten. Denn eine Einleitung soll einen aktuellen Überblick über das Genre, den Stand der Forschung und die Struktur des Buches geben. Aber die Referenztexte für seine theoretische Einführung sind oft vierzig, fünfzig oder noch mehr Jahre alt und oft nur noch von historischem Interesse. Besonders Richard Alewyns „Anatomie des Detektivromans“ von 1971 wird hier immer wieder zitiert. Peter Nussers „Der Kriminalroman“ von 1980, „Reclams Kriminalromanführer“ von 1978 und Jochen Vogts Sammelband „Der Kriminalroman“ von 1971 sind die, auch wenn es neuere Auflagen gibt, immer wieder benutzten Werke, die natürlich jede Entwicklung innerhalb der letzten dreißig Jahre im Genre und in der Wissenschaft ignorieren.
Dieser hier entstehende Eindruck, ein in weiten Teilen veraltetes Werk in den Händen zu halten zieht sich, trotz vieler neuer Abschnitte, durch das gesamte Buch.
So wird bei Mickey Spillane wieder einmal die alte Diskussion über Gewalt, Sexismus und reaktionäre Weltanschauung aufgewärmt. Die Geschichte des Privatdetektivromans endet im Wesentlichen mit Ross Macdonald und seinen Lew-Archer-Romanen, die hauptsächlich in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erschienen. Jüngere Privatdetektive und die Welle der weiblichen Privatdetektivinnen werden versprengt über das halbe Buch, mehr oder weniger ausführlich, behandelt. Dennis Lehanes mehrfach ausgezeichnete Serie mit Patrick Kenzie und Angela Gennaro und Harlan Cobens ebenfalls sehr beliebte Myron-Bolitar-Serie fehlen; - um nur zwei Autoren zu nennen, deren Privatdetektive schon vor der Jahrtausendwende ermittelten.
Auch im restlichen Buch behandelt Jochen Schmidt die vergangenen zehn Jahre sehr stiefmütterlich. Er konzentriert sich auf Autoren und Werke, die ins Deutsche übersetzt wurden. Aber so werden immer wieder wichtige Autoren, wie Ken Bruen, und mehr oder weniger große Teile des Werkes eines Autors ignoriert. Joe R. Lansdales „jüngster Roman“ ist nicht das bereits 2000 erschienene Werk „The Bottoms“. Bei Michael Connelly, der pro Jahr mindestens ein Buch veröffentlicht, fehlt der „Lincoln Lawyer“ Michael Haller, der 2005 seinen ersten Auftritt hatte. Harry Boschs letzte Ermittlung ist nicht „The Closers“ von 2005. Bei Schmidt ist der letzte von James Lee Burke geschriebene Dave-Robicheaux-Roman „Last Car to Elysian Field“ von 2003. Burke veröffentlichte danach vier weitere Robicheaux-Romane. Bei David Peace endet die Chronologie seiner Werke mit seinem dritten Roman. „1983“, „Tokio im Jahr Null“ und die noch nicht übersetzten Werke fehlen.
Etliche der in dem Wälzer vorgestellten Autoren sind schon seit Jahren tot, aber bei Schmidt erfreuen sie sich noch bester Gesundheit. So starben Michael Dibdin 2007, Mickey Spillane 2006, Ed McBain, Ted Allbeury und Batya Gur 2005.
All das hätte mit einem Blick in die einschlägigen Datenbanken vermieden werden können. Dort hätte Schmidt auch einige der Geburtsdaten gefunden, von denen er jetzt behauptet, sie seien nicht bekannt.
Auch die Bibliographie im Anhang ist hoffnungslos veraltet: Neuauflagen und Sekundärwerke, die nach 1990 erschienen, fehlen fast vollkommen. Internetadressen vollkommen. Stattdessen werden längst eingestellte Periodika, wie das „Jahrbuch der Kriminalliteratur 1989“, empfohlen.
Und, als ob das noch nicht genug wäre, liest sich der Text öfters wie ein nicht redigiertes Manuskript. Denn die älteren Texte hat Schmidt anscheinend ohne eine einzige Änderung übernommen. So schreibt er öfters „in jüngster Zeit“, spricht dann über Entwicklungen aus den siebziger und achtziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts und es gibt viel zu viele Flüchtigkeitsfehler.
Die Autorenporträts erschöpfen sich meistens im Nacherzählen der gesamten Handlung. Dieses von Schmidt geleistete beachtliche Lesepensum wird dann vor dem zunehmend erschöpften Leser ausgebreitet. Denn anstatt einer besinnungslosen Aneinanderreihung von Inhaltsangaben hätte er lieber einen Wegweiser durch den Dschungel der Kriminalliteratur schreiben sollen. Doch genau das ist „Gangster, Opfer, Detektive“ nicht.
Auch die von Schmidt vorgenommenen Gewichtungen bei der Länge der Autorenporträts sind teilweise abenteuerlich.
Über Philip Kerr gibt es acht Seiten, während Ian Rankin auf knapp zwei Seiten abgehandelt wird. Gunnar Staalesen erhält ein eigenes sechseitiges Kapitel. Dagegen wird Henning Mankell (in einem Kapitel zusammen mit Sjöwall/Wahlöö und Arne Dahl) auf fünf Seiten abgehandelt. Das ist für den Einfluss von Henning Mankell auf die gesamte skandinavische Krimiproduktion der vergangenen Jahre und inzwischen auch zunehmend auf die deutschen Krimis eindeutig zu wenig.
Ähnlich ergeht es anderen wichtigen Autoren, wie Mickey Spillane (fünf Seiten), Elmore Leonard (der bei Schmidt Elmore Leonhard heißt und auf fünf nichtssagenden Zeilen vorgestellt wird), Lawrence Block (bei dem einer seiner Seriencharaktere falsch geschrieben ist, zwei Seiten), Donald E. Westlake (knappe zwei Seiten über seine als Richard Stark geschriebenen Parker-Romane), Stuart M. Kaminsky (vier Seiten über seine in Hollywood spielende Toby-Peters-Serie, aber nichts über seine Serien mit Porfiry Rostnikov, Abe Lieberman und Lew Fonesca), Robert B. Parker (fünf Seiten), James Lee Burke (drei Seiten) und Michael Connelly (knappe drei Seiten). Sie werden oft sehr lückenhaft und teilweise vollkommen verzerrt abgehandelt.
Und das sind nur die Amerikaner.
Außerdem fehlen etliche zeitgenössische Autoren, die vielleicht nicht zu Klassikern werden, aber den derzeitigen Stand der Kriminalliteratur in verschiedenen Facetten repräsentieren. Bei den deutschsprachigen wären das – wenn wir uns nur auf die Männer beschränken - unter anderem Sebastian Fitzek, Jörg Juretzka, Wolfgang Brenner und Horst Eckert, bei den ausländischen unter anderem Don Winslow, Jeffery Deaver, Vince Flynn, Andy McNab, Chris Ryan, Daniel Woodrell, Thomas H. Cook, Lee Child, Jason Starr, John Connolly und Charlie Huston. Und das sind nur die Krimiautoren, die bereits seit längerem Schreiben, seit mehreren Jahren übersetzt werden und sich innerhalb des Genres bewegen. Da entlockt das Fehlen von Stieg Larsson nur noch ein müdes Gähnen und dass Schmidt konsequent Comics, Filme und TV-Serien ignoriert, kann nur mit seinem Alter entschuldigt werden.
Literaturangabe:
SCHMIDT, JOCHEN: Gangster, Opfer, Detektive – Eine Typengeschichte des Kriminalromans. KBV Verlag, Hillesheim 2009. 1128 S., 43,90 €.
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