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Gebrochene Seele im Stasi-Gefängnis – Buhls Roman über Häftling „375“

Für die Geschichte hat der in Freiburg lebende Autor eine geniale Konstruktion geschaffen

© Die Berliner Literaturkritik, 07.04.08

 

Von Ingo Senft-Werner

Wer wissen will, wie es ist, Gefangener der DDR-Stasi oder irgendeines anderen Geheimdienstes zu sein, der kommt an Marc Buhls Roman „375“ nicht vorbei. Die Zahl ist die Häftlingsnummer, die über Monate zum Namen von Paul Cremer wurde. Der Mensch, herabgewürdigt zur Nummer, die er auch nach der Freilassung nicht los wird. Eingebrannt in die Seele – mit all den Demütigungen und einer grenzenlosen Einsamkeit. Nach „Das Billardzimmer“ über die Zweischneidigkeit der Fluchthilfe im Zweiten Weltkrieg ist Buhl erneut ein ebenso gefühlvoller wie durchdachter Roman gelungen zu einem dunklen Kapitel deutscher Geschichte.

Für seine Erzählung hat der in Freiburg lebende Autor eine geniale Konstruktion geschaffen: Am Rande des Schwarzwaldes schießt sich der Antiquitätenhändler Paul Cremer eine Kugel durch den Kopf. Der knapp 40 Jahre alte Mann überlebt, doch seine Erinnerung ist gelöscht, zumindest an die vergangenen 20 Jahre. Als er aus dem Koma erwacht, ist er überzeugt, dass er im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen einsitzt, als Nummer „375“. Er selbst ist 22 Jahre alt und der Kalender zeigt das Jahr 1989.

Seine Frau und seinen fast erwachsenen Sohn erkennt er nicht. Als ihm der Arzt von der Wiedervereinigung Deutschlands erzählt, hält er das zuerst für einen üblen Vernehmungstrick. In seinen Erinnerungen ist nur noch Platz für die wohl grausamste Zeit seines Lebens, die Jahre später zu seiner schrecklichen Tat führten. Buhl streut die Erlebnisse im Gefängnis stückweise ein, so dass sich die Erinnerungen auch für den Leser wie ein Puzzle zusammensetzen.

Haupthandlungsort ist die Kopf-Klinik, in der jeder Patient auf seine Weise versucht, mit seiner Hirnverletzung fertig zu werden. Die Schlussfolgerung in der Erkenntnistheorie des Philosophen René Descartes: „cogito ergo sum“ – Ich denke, also bin ich, wird hier zur medizinischen Frage. Einige Patienten zeigen, wie unbeschwert ein Leben ohne Erinnerung sein kann – zumindest für sie selbst. Andere kämpfen um ihre Vergangenheit. Tumorpatient Levin bittet Cremer eindringlich, sich zu erinnern. „Sie erinnern sich auch gerne an die Verzweiflung“, fragte Cremer. „Alles andere wäre feige“, sagte Levin.

Häftling „375“ erinnert sich. Und er hält die Erinnerung wach für alle, die wissen wollen, wie es ist, Gefangener der DDR-Stasi oder irgendeines anderen Geheimdienstes zu sein.

Literaturangaben:
BUHL, MARC: drei sieben fünf. Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007. 288 S., 19,95 €.

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