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Gedichtband „Rebus“ von Enzensberger

Vieldeutige Verstörungen in Hans Magnus Enzensbergers neuem Gedichtband

Von: TOBIAS ROTH - © Die Berliner Literaturkritik, 30.07.09

Der neue Gedichtband von Hans Magnus Enzensberger trägt bereits im Titel jene Doppelbödigkeit der Sprechweise, mit der der Dichter die Blick- und Lesefrüchte seiner Beobachtungsgabe lyrisch unterminiert und die Realia unterfüttert. Die „res“, die Sachen, die alles überziehen und ausmachen, an gemütlich empirischer Sonne dösend, Handlungen zeugend: de rebus quae geruntur, von Dingen, die vorfallen, handelt platterdings alles.

„Rebus“ ist aber auch ein Wort für Bilderrätsel, und das 19. Jahrhundert kannte den eleganten Ausdruck „dire en rébus“, um Wortwitz, rhetorisch geschickte Volte und Finte zu bezeichnen. So vermag Rebus als Titel, zusammenzufassen, was in dem Band geschehen wird, und wiederholt diese Arbeitsweise in sich selbst. Der Leser hat also eine lyrische Begegnung, noch bevor er das (übrigens sehr schöne, opulent großformatige) Buch aufgeschlagen hat.

Enzensberger besitzt die – in der zeitgenössischen Lyrik vielleicht einzigartige – Fähigkeit, nicht nur naturwissenschaftliche Termini und jegliche Fachsprache gemeinsam mit dem Vokabular und Duktus der sich rasch wandelnden Alltagssprache in Gedichten wirklich lyrisch einzusetzen. Er beherrscht es auch, eine Stimmung herzustellen, die zugleich einen Abgrund öffnet und das Schwindelgefühl verspottet, die Banalitäten bloßstellt und mit Galgenhumor deren Verbreitung und Teilhabe zeigt. Und das, ohne eine Ironie zu verströmen, die am Ende an sich selbst erstickt, oder eine Antwort zu geben, die bereits stranguliert ist. Enzensbergers Texte führen aus einer Deutlichkeit in eine Undeutlichkeit, die sich deutlicher macht als jede Eindeutigkeit.

Manche Lektüren beginnt man mit Lachen – bis dieses Lachen im Halse stecken bleibt und rau wird; manche beginnt man mit Schaudern – und sieht sich unversehens von der Pointe übertrumpft. Dieses zweischneidige und doppelbödige Gespür führt auch dazu, dass Enzensberger (immer noch) eine politische Lyrik schreibt, die diesen Namen auch verdient, und weder bei der Kommentierung des Täglich-Empirischen, der Realpolitik stehen bleibt, noch sich in selbstbezügliche Kunstwelten zurückzieht, um von dort aus „politisch“ zu sein.

Wäre in den letzten Jahren die Redewendung von „Jahreszeit+Märchen“ nicht vollends vernichtet worden, könnte man in diesem Zusammenhang getrost auf Heinrich Heines Wintermärchen hinweisen. In Enzensbergers sehr langem Schlussgedicht „Coda“, das das ganze zehnseitige Schlusskapitel füllt, bündelt sich der Band, werden die Themen transponiert und enggeführt wie es der musikalische Titel zu erwarten gibt. Da herrscht ein bittersüßer Schmerz des Hin und Her poetischer und praktischer Ansichten und Situation. Fast meint man die Welt (unter dem alten, schönen Banner einer „Weltklugheit“) als die Stimmung eines Oxymorons zusammengefasst zu sehen, aus der Perspektive eines alten Blickes auf die rebus:

 
            Alles Mögliche – niemand weiß, was das ist.

            Klingt gut, klingt üppig, aber da ist immerzu

            dieses murmelnde Aber, das mich stört

            und mich nicht schlafen lässt.

            Eine schlechte Angewohnheit, sagt ihr,

            und damit habt ihr womöglich recht,

            liebe Geschwister in Hegel et ceteris.

            ...

            Doch ich bin nur ein Vorübergehender,

            der vorübergehend beobachtet, was der Fall ist,

            der nur redet (de rebus quae geruntur),

            und der kaum etwas ausrichtet.

              

            Wenn ihr könnt, verzeiht mir,

            daß ich Glück gehabt habe,

            daß mein Zimmer geheizt ist,

            daß ich Wasser, viel Wasser,

            klares, sauberes Wasser, kalt und warm,

            besser als Geld, soviel ich will.

            Unerhörte Privilegien, meinetwegen,

            ich gebe es zu.

            ...

            Nur manchmal, nachts, holt die alte Wut

            mich ein, hinterrücks. Wie früher hat sie

            gewöhnlich recht. Aber merkt sie nicht,

            daß es keinen Zweck hat, dass sie stört,

            daß ich sie nicht haben will? Sie weiß doch,

            daß alles, was menschenmöglich ist,

            womöglich nicht reichen wird, um uns zu retten?

 
Ansonsten geraten die 72 Gedichte der vier übrigen Kapitel recht knapp, nur die wenigsten überschreiten und verlassen die Seite ihrer Überschrift. Der Band ist thematisch und zyklisch vielleicht nicht so straff gebündelt wie etwa der „Untergang der Titanic“ (1978) oder das „Mausoleum“ (1975), aber die poetischen Qualitäten, die schon dort zum Ausdruck kamen, sind auch in „Rebus“ gegenwärtig. Die Gedichte setzen dem Leser auf ihrer Oberfläche keinen Widerstand entgegen (Celan ist für diesen Widerstand wohl das emblematische Beispiel), und setzen ihr vieldeutiges Verstörungsspiel erst dann in Szene, wenn der Leser es sich schon fast im Text gemütlich gemacht hatte.

Aber diese Ruhe wird nicht gestattet, obwohl Unsicherheit nicht immer ein Unfall ist, wie es im Gedicht „Notfall in Barcelona“ heißt: „Wo aber das Herz flimmert, / wächst das Rettende auch.“ Das klingt zuversichtlich. Bis der Zweifel, der aus der Anspielung tropft, den Boden der Zuversicht durchgerostet hat.

Von Tobias Roth

Literaturangabe:

ENZENSBERGER, Hans Magnus: Rebus. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 120 S., 19,80 €.

Weblink:

Suhrkamp Verlag

Tobias Roth arbeitet nach einem Studium in Freiburg als Schriftsteller, Literatur- und Musikkritiker in Berlin. Er ist mehrfacher Preisträger des Essay-Wettbewerbs der Goethe-Gesellschaft


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